0487 - Griff aus dem Nichts
überhaupt nicht geben. Der Mann befindet sich jetzt im Tempel des Steins. Ich bin mir noch nicht sicher, ob ich ihn nicht auch opfern sollte. Andererseits könnte sein Wissen wertvoll sein, und das müssen wir ihm erst entreißen. Xolox war so geistesgegenwärtig, ihn festnehmen zu lassen. Der andere ist noch flüchtig.«
Yomoy schluckte. »Wie sind sie hergekommen?«
»Sie kamen aus dem Nichts, berichtete Xolox. Sie waren plötzlich mitten zwischen den Regenbogenblumen. Xolox sollte das Feld auf seine Erntereife hin untersuchen. Da fielen sie ihm und den Erntehelfern praktisch vor die Füße.«
Yomoy neigte den Kopf. »Ich denke, der flüchtige Fremde wird nicht sehr weit kommen. Er kennt sich nicht aus mit unseren Sitten und Gebräuchen, er kennt die Örtlichkeiten nicht, spricht nicht unsere Sprache, und er wird kein Geld zur Verfügung haben. Über kurz oder lang werden wir ihn also finden. Es sei denn, er flieht über die Grenze.«
»Dort vergrößern seine Probleme sich nur«, sagte Robor ausdruckslos, »und wir wären ihn los. Für ihn aber wäre es besser, wenn wir ihn fänden. Das Schlimmste, was ihm hier passieren kann, ist, daß wir ihn opfern. Aber im Anderland…«
Er straffte sich und wechselte das Thema.
»Die Opferung des Mädchens wird in dieser Nacht stattfinden«, sagte er. »Die Blumen sind erntereif. Den Extrakt von sieben Blüten brauchen wir für die Zeremonie, der Rest des Feldes wird rituell verbrannt. Sorge mit Xolox dafür.«
»Ich benötige Diener. Es wäre nicht gut, die Erntehelfer mit zu verbrennen. Nicht gerade jetzt. Und die Diener brennen bekanntlich kaum.«
»Nimm, was du brauchst, und sieh zu, daß mir rechtzeitig der Extrakt von sieben Blütenkelchen zur Verfügung steht. Dir und Xolox bleibt nicht mehr viel Zeit bis zum Abend.«
Yomoy nickte und machte sich an die Arbeit.
Robor aber glaubte schon, den weltumspannenden Schatten des großen Gaap über dem Tempel, der Stadt und dem Land schweben zu sehen. In dieser Nacht würde Robor den entscheidenden Schritt tun - und endlich mächtig werden.
Eines Tages gehörte ihm diese Welt.
Ihm, nicht der Bruderschaft vom Stein. Sie würde nur noch sein Werkzeug sein.
***
Don Cristofero erwachte davon, daß etwas seine Nase kitzelte. Er nieste kräftig und öffnete dann die Augen; vorsichtshalber die Hand am Griff des Degens. Aber er sah keinen Feind, der ihn in dieser infamen Weise aus dem Schlaf riß. Statt dessen bewegte sich ein am Pflanzenstengel sitzendes, großes Blatt im Wind und hatte das rötlich-runde Riechorgan des Grande gestreift.
Er fühlte sich ganz eigenartig; gerade so, als würde der Duft, den er dabei wahrnahm, etwas aus ihm herausziehen.
Er sah nach dem Stand der Sonne. Seiner Schätzung nach war zwischen einer und zehn Stunden vergangen -ärgerlicherweise hatte er sich in seinem Rausch die Position der Sonne nicht gemerkt. Aber irgendwie hatte er das Gefühl, daß er gar nicht lange geschlafen haben konnte. Es war etwas dämmeriger als zuvor, aber nicht wesentlich kühler.
Moment mal. Was war das denn für eine Sonne?
Eine, die türkisgrün leuchtete? Das war ja eine schauderhafte Farbe! Und seltsamerweise machte es Cristofero nicht einmal etwas aus, in dieses türkisgrüne Licht hineinzusehen. Es blendete ihn nicht und war trotzdem unwahrscheinlich hell.
Dafür mußte es doch eine Erklärung geben!
Jetzt registrierte er auch endlich bewußt, daß er sich in einem riesigen Feld befand; fast konnte man es schon als Wald bezeichnen. Gewaltige Blumen wuchsen rund um ihn herum. Und die annähernd mannsgroßen Blütenkelche schimmerten in allen Farben des Regenbogens!
Es waren die gleichen Blumen, die der Professor im Keller von Castillo Montego züchtete!
» Parbleu! Also hat dieses seltsame Gemüse mich und Zamorra hierhergehr acht!« entfuhr es ihm. Er kam auf den Gedanken, eine Rückkehr nach Castillo Montego zu versuchen, um Verstärkung zu holen. Und zugleich stellte er verblüfft fest, nicht mehr alkoholisiert zu sein. Dafür hing ihm immer noch der süße Duft jenes Blattes in der Nase und schien ihn restlos zu erfüllen.
Sollte es da einen Zusammenhang geben?
Etwas raschelte. Ein geradezu angstvolles Zittern durchlief die buntschillernden Blütenkelche, die in ihrer unschätzbar großen Zahl ein riesiges Feld bildeten. Etwas näherte sich.
Unwillkürlich zog Don Cristofero den Degen.
Er lauschte.
Ein anderer Duft wehte ihm entgegen. Der von Fäulnis. Das gefiel ihm gar nicht. Er sah einen
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