0489 - Die Spinnenhöhle
half ein aufklärender Zauber.
Also eilte der Gnom durch das Château, fand seinen Herrn und meldete sich pflichtschuldigst bei ihm ab.
»Es mißhagt mir durchaus, daß Er sich in den Dienst einer anderen Sache stellen will«, brummte der Grande. »Indessen, wenn’s nur für eine kurze Zeitspanne ist, so will ich Ihm diesen Urlaub gewähren. Doch spute Er sich, alsbald zurückzukehren. Er denke stets daran, was ich von Ihm erwarte: einen Zauber, der nicht nur ausnahmsweise einmal funktioniert, sondern der mich auch sicher in meine richtige Zeit zurückträgt! Und Gold hat Er frecherdings auch immer noch nicht zustandegebracht, wo Er doch im Castillo Montego nicht nur so viel Zeit zur Verfügung hatte, sondern gar die magischen Utensilien, welche der Herr deMontagne selbst benutzte, um finstere Dämonen zu schlachten!«
»Ich eile, Gebieter!« versicherte der Gnom. »Doch werdet Ihr verstehen, daß meine Zauberkünste dringend gebraucht werden in der Ewigen Stadt.«
»Wohlan, Er hat meine Erlaubnis, zu gehen«, sagte Cristofero huldvoll.
Der Gnom zögerte nicht länger.
Er stieg in den Keller hinab, durcheilte die labyrinthischen Gänge und erreichte schließlich die Regenbogenblumen unter der künstlichen Sonne. Wenig später befand er sich bereits in Ted Ewigks Villa.
***
Kirsten Simban war bei der Rückwärtsbewegung gestolpert, rollte sich herum und kauerte für eine Weile auf allen vieren auf dem Waldboden neben dem Weg. Irgendwie hatte sie das Gefühl, daß ihr etwas fehlte; daß sie mit zwei Armen und zwei Beinen nicht auskam. »He, Spinne!« stieß sie hervor. »Wo bist du geblieben?«
Sie fühlte sich verlassen. Hastig sah sie sich um, doch ihre beiden Augenpaare konnten die Türkisfigur nirgendwo erkennen. Die steinerne Spinne mußte in der Höhle zurückgeblieben sein. Aber Kirsten hatte sie doch fest in der Hand gehalten!
Etwas mühsam richtete sie sich auf, torkelte mehr, als daß sie ging, die paar Schritte zum Auto und lehnte sich an die Karosserie. Das Gehen war ihr so schwergefallen wie noch nie. Irgendwie verhedderte sie sich, glaubte, mehr Gliedmaßen steuern zu können, als sie besaß!
Sie sah an sich herunter. Sie trug wieder ihre normale Kleidung. Wieso war sie dann eben in jener Höhle so spärlich kostümiert gewesen, und vor allem so fremdartig? Und - wie war sie dorthin gekommen?
Gut, sie war geflohen. Aber jetzt spürte sie, daß etwas sie wieder dorthin zurückzog. Die Welt der Menschen war nicht länger ihre Welt, war nicht mehr ihre Heimat.
»Aber ich muß nach Moskau«, murmelte sie. »Ich muß die Spinne doch nach Moskau bringen…«
Mußte sie das wirklich?
»Aber ja doch«, entfuhr es ihr halblaut. Ihre Steinspinne mußte mit ihrem Partner zusammengebracht werden! Zu lange dauerte das Warten schon an!
»Ich muß sie zurückholen«, murmelte sie. »Und dann irgendwie nach Moskau. Aber wie komme ich in diese seltsame Höhle zurück?«
Wie war das denn vorhin gewesen?
Kirsten machte ein paar hektische Schritte vorwärts - und stolperte fast über einen menschlichen Schädel, der ihr bleich und abgenagt im Wege lag. Sie stolperte und stürzte mit vorgestreckten Händen mitten in das Spinnennetz hinein.
***
Saranow parkte den schwarzen Tschaika vor dem Haus, in dem Davidoff wohnte. Falls der aus dem Fenster schaute, sollte er ruhig wissen, daß sein Vorgesetzter hier war. Saranow haßte Geheimniskrämerei, und er war, trotz mancher sarkastischer Bemerkungen, heilfroh, daß die alten Zeiten vorbei waren. Es war immer so ermüdend gewesen, dieses Katz-und-Maus-Spiel des mißtrauisch überwachten Wissenschaftlers, der auch noch Geheimnisträger war, gegen den allmächtigen, tausendäugigen Geheimdienst. Deshalb hoffte er, daß die konservativen Kräfte es nicht schafften, in den politischen Rückwärtsgang zu schalten und den Reformkurs null und nichtig zu machen, den Michail Gorbatschow eingeleitet hatte und den Boris Jelzin fortzuführen versuchte. Natürlich konnte sich Saranow nicht mit allen Entscheidungen anfreunden, die Jelzin traf - wer konnte das schon, wenn’s ihm dabei an die eigene Substanz ging? Aber Saranow war intelligent genug, zu sehen, daß für die nächsten zehn, vielleicht zwanzig Jahre größte Opfer gebracht werden mußten, wenn die Völker der ehemaligen Sowjetunion sich aus der Hoffnungslosigkeit einer fast hundertjährigen Mißwirtschaft befreien wollten; die Schatten, die die Planlosigkeit einer fehlgesteuerten Planwirtschaft über Volk und
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