0491 - Die Wolfshexe
Schrammen. Sie bluteten nicht einmal. Vorsichtshalber öffnete er den Regenmantel, Jacke und Hemd und klinkte das Amulett von der Silberkette, um die Wunden damit zu berühren. Aber es erfolgte keine Reaktion. Auch nicht, als er Nicoles Schrammen damit »behandelte« und sich anschließend um Cinan kümmerte. Den hatte es etwas übler erwischt; er besaß nicht die unglaublich schnellen Reflexe Zamorras und Nicoles, die nicht zum ersten Mal in einer bedrohlichen Lage waren, in der es auf blitzschnelles Handeln ankam.
Cinans rechter Arm blutete stark; auch seine Hose war zerfetzt und schimmerte dunkel und naß. »Im Haus wird es Verbandsmaterial geben«, vermutete Zamorra. »Gehen wir wieder hinein. Ich will mir die Verletzungen ansehen.«
»Hoffentlich versaue ich Yann-Daq nicht den Teppich und die Möbel«, murmelte Cinan mit verzerrtem Gesicht.
»Ich denke, er wird das überleben. Notfalls werden wir ihm den Schaden ersetzen«, sagte Zamorra. »Kommen Sie, Mann, oder wollen Sie verbluten?«
»Ich brauche einen Arzt«, ächzte Cinan. »Verdammt, wo sind diese Bestien so schnell hergekommen?«
»Vom Dach«, vermutete Zamorra. »Zumindest der Wolf, der mich ansprang, kam von oben.«
»Alles Gute kommt von oben«, bemerkte Nicole spöttisch.
Sie suchten nach Verbandsmaterial und wurden fündig. Ein Mann wie Yann-Daq Plouder verfügte natürlich über eine erstklassige Erste-Hilfe-Ausrüstung. So, wie er lebte, war das nur vernünftig. Zamorra riß den von Wolfsfängen zerfetzten Stoff auf. Cinans Blutungen hatten nachgelassen. Zamorra sah, daß die Bißwunden gar nicht so schlimm waren. »Sind Sie gegen Wundstarrkrampf geimpft, Cinan?« wollte er wissen.
»Ich glaube, ja, aber das ist schon lange her.«
»Also gut. Dann müssen Sie auf jeden Fall zum Notarzt. Aber jetzt beißen Sie erstmal kräftig die Zähne zusammen.« Zamorra desinfizierte die Wunden und legte Verbände an.
Nicole hatte unterdessen die nähere Umgebung untersucht. »Stimmt«, stellte sie fest. »Die Wölfe müssen teilweise auf dem Dach gelauert haben. Aber jetzt sind sie verschwunden. Da liegt nur noch der, den du erschlagen hast.«
Zamorra verzog das Gesicht. Er hatte den Wolf nicht töten wollen. Wenn es sich um magische Wölfe gehandelt hätte, hätte das Amulett sich gemeldet. So aber mußten es normale Tiere sein, und deren Eigenheit war es nun mal, Opfer zu reißen. Kein Grund, brutal gegen die Tiere vorzugehen - eine Betäubung hätte gereicht. Aber der erste Schlag hatte eben nicht richtig gesessen.
»Die Luft ist also wieder rein?«
Nicole nickte.
»Wie sind die Bestien nur aufs Dach gekommen?« stöhnte Cinan. »Wölfe sind doch keine Kletterer!«
Zamorra zuckte mit den Schultern. »Das werden wir vielleicht bei Tageslicht herausfinden«, überlegte er. Er stellte sich vor, was mit einem einzelnen Mann wie Plouder passiert wäre, wenn der ahnungslos heimgekehrt und von den Wölfen überfallen worden wäre. War vielleicht Yvette Manderon auf ähnliche Weise von dem Rudel überfallen worden? Aber weder diese Art von Überfällen noch das Aufs-Dach-Klettern paßte zum normalen Verhalten von Wölfen. Da steckte eine planende Intelligenz dahinter. Zamorra mußte an Fenrir denken. Der telepathische Wolf würde wohl ähnlich handeln, wenn er sicher gehen wollte, seine Opfer auch hundertprozentig zu bekommen. Wenn Zamorra und Nicole im Laufe vieler Jahre in zahllosen Überlebenskämpfen nicht unglaublich schnelle Reflexe entwickelt hätten, hätte die Sache jetzt vielleicht auch anders ausgesehen.
Als die Wölfe erkannten, daß sie einem gleichwertigen oder vielleicht überlegenen Gegner gegenüberstanden, hatten sie den Angriff aufgegeben und waren geflohen! Das würde bedeuten, daß jemand diesen Angriff gesteuert hatte. Daß es eben doch keine normalen Wölfe waren!
Zamorra preßte die Lippen zusammen. Er trat nach draußen, sah sich diesmal vorsichtig um. Er schnupperte auch, aber es roch nicht mehr nach Wolf. Nach wie vor lag das Tier, das er erschlagen hatte, vor der Blockhütte auf dem Boden. Zamorra winkte Nicole zu sich. Sie beleuchtete den Kadaver mit der starken Lampe, während Zamorra ihn hin und her drehte.
Auf den ersten Blick war nichts Ungewöhnliches an dem Wolf festzustellen.
Ein Werwolf, ganz gleich, wie er sich vielleicht magisch abzuschirmen vermochte, damit niemand ihn auf Anhieb als solchen erkannte, hätte im Tode unweigerlich seine eigentliche Gestalt wieder angenommen.
»Wir sehen zu, daß wir zum
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