0494 - Hexen-Polterabend
mit sich geschehen. Der Hexenmeister faßte sie an, was mir einen Stich gab.
»Die Chancen sinken, Suko«, flüsterte ich. »Jane steht bereits unter dem Bann. Die haben es geschafft, sie wieder zurückzuholen.«
»Abwarten.«
Ich schluckte meine Antwort herunter.
»Wie sollen wir uns dem Hügel nähern?« fragte Suko. »Ich würde vorschlagen, daß wir es von der Seite her versuchen.«
»Falls man uns läßt.«
Der Inspektor winkte ab. »Ich glaube nicht daran, daß noch Monstren aus dem Boden steigen. Dazu ist dieser Polterabend viel zu interessant.«
Nach dem großen Theater kam uns die Stille ungewöhnlich vor. Sie blieb auch nicht sehr lange, denn Abandur setzte zu einer großen Rede an und konzentrierte die Aufmerksamkeit seiner Geschöpfe allein auf sich und Jane Collins.
Für uns würden sie kaum noch einen Blick haben, das konnte nur vom Vorteil sein.
Es blieb bei Sukos Vorschlag. Wenn wir einen Bogen schlugen, verloren wir leider auch Zeit. Um sie aufzuholen, mußten wir uns beeilen. Es war ein Gehen wie durch Watte, nur daß uns der Nebel nicht den geringsten Widerstand entgegensetzte.
Ich wäre gern in ihn hineingetaucht, dann aber hätten wir nichts sehen können.
Wir blieben zusammen und hatten den Weg nach links eingeschlagen. Die Geländeform änderte sich. Sie stieg jetzt schon etwas an, der Boden kam mir aufgewühlt vor. Er war manchmal mit dicken Löchern oder anderen Trittfallen gespickt, so daß es nicht einfach war, immer den genauen Weg einzuhalten.
Mehr als einmal sackten wir zusammen und tauchten in die weiße Nebelsuppe.
Währenddessen hielt Abandur seine Ansprache. Er sprach davon, daß er die alten Zeiten wiederkehren lassen wollte. Die Zeit der Rache war da. All die Geschundenen und Gefolterten würden sich an denen rächen, die für ihr Schicksal verantwortlich waren. Diese globale Abrechnung richtete sich gegen die Menschen.
Suko und mich hatte man bisher noch nicht gesehen. Wir hofften, daß dies auch so bleiben würde.
Wenn ein Feind auftauchte, würde ich nicht schießen. Wir hatten abgesprochen, daß wir entweder den Dolch oder die Dämonenpeitsche nahmen.
Mir war eine weißhaarige Gestalt schon vorher aufgefallen. Es war ein Mann gewesen, eben dieser Totenpfeifer, von dem auch Jerry Stern gesprochen hatte.
Ihn sah ich nicht mehr.
Als ich Suko aufmerksam machte, nickte dieser. »Das ist mir auch schon aufgefallen.«
»Dann können wir mit einem Angriff rechnen.«
»Mal sehen.«
Wenig später vergaßen wir diesen Dialog wieder, weil uns die Ereignisse auf dem Hügel ablenkten.
Wir waren schon sehr nahe an ihn herangekommen, standen jetzt im schrägen Winkel zum Thron und sahen, daß Jane sich nicht wehrte, als der Hexenmeister sie packte.
Fast brutal riß Abandur sie an sich, beugte sie nach unten, und wir sahen etwas, das mir ins Herz schnitt.
Er küßte sie!
Ein lebender Toter, ein Hexenmeister preßte seine leichenkalten Lippen auf Janes Mund, die sich nicht einmal wehrte.
Es war für mich kaum zu fassen. Ich stand da, wie zur Salzsäule erstarrt. Obwohl mich die Szene abschreckte und anwiderte, mußte ich mehrmals hinschauen. Es war wie ein innerer Zwang, unter dem ich litt, und ich spürte den Druck in meiner Kehle, der vom Magen hochgestiegen war. Ich kam nicht dazu, noch Luft zu holen, alles preßte sich zusammen, selbst in meine Augen stieg die Feuchtigkeit.
»Jane!« preßte ich hervor. »Oh, verdammt, was hast du getan. Das kann es nicht geben.«
»Sie ist es nicht, John!« flüsterte Suko.
»Was redest du für einen Unsinn? Natürlich ist sie es. Ich sehe sie mit eigenen Augen.«
»Aber sie ist es nicht wirklich. Sie ist eine andere. Sie steht unter einem Bann. Sie macht es nicht freiwillig, John.«
»Gibt es da einen Unterschied?«
»Ja.« Suko stieß mich an. Ich glich die Bewegung aus und starrte weiterhin auf dieses für mich furchtbare Bild.
Deshalb vergaß ich unsere eigene Umgebung. Suko hatte zum Glück die Augen offengehalten. Sein nächster Stoß katapultierte mich zur Seite. »Da, der Weißhaarige« rief er und hatte sich nicht getäuscht. Wie ein Geist war diese Gestalt vor uns erschienen. Wir sahen ihn und die Schlangen auf seinem Körper, aber wir sahen auch noch mehr.
Er hielt eine Flöte aus bleichem Gebein in seinen Händen. Das Mundstück hatte er gegen die Lippen gepreßt, und einen Moment später, noch bevor wir ihn daran hindern konnten, begann er damit, seine schaurige Totenmelodie zu spielen.
Nicht nur eine Melodie,
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