0494 - Hexen-Polterabend
Trank gebraut worden war, der es ermöglicht, Tote wieder ins Leben zu holen. Das Rezept ist uralt, es wurde in der tiefsten Hölle erfunden, und kein Mensch hat es je herausgefunden. Mir hat es das Leben gegeben, und erst als ich das Grab verließ, war es möglich, euch aus der Erde des Bluthügels zu holen. Wieder einmal haben sich die Menschen geirrt, denn sie rechneten damit, daß wir für alle Zeiten vernichtet waren. Aber sie unterschätzten die Macht der Hölle. All die Geschundenen, die Gefolterten und die Geschöpfe, mit denen ihr als Hexen eure Feste gefeiert habt, sind wieder da, um mein Fest zu verschönern. Heute nacht werde ich die Hochzeit mit der Person halten, die einmal zu uns gehört hat, uns aber entrissen wurde, doch nun auf dem besten Weg ist, wieder zu uns zu gehören. Ich spreche von meiner Braut an dieser Seite!«
Er trat einen kleinen Schritt von Jane weg, um für die Hand Platz zu schaffen, die auf die Detektivin wies.
Jane wußte nicht, wie sie sich verhalten sollte. Schließlich verneigte sie sich vor den anderen und nahm deren Beifall entgegen, aber auch die heulenden und schreiende Laute, die sie schrill umtanzten.
Der Totenpfeifer begann wieder damit, seine unheimliche Melodie zu spielen.
Das Heulen und Pfeifen wehte über den Hügel hinweg und schien vom Nebel aufgesaugt zu werden.
Der Hexenmeister war zufrieden. Er lächelte kalt, und seine Gedanken drehten sich um die Dinge, die Jane ihm zuvor noch mitgeteilt hatte. Etwas aus ihrem anderen Leben lauerte in der Nähe.
Er spürte nichts, das ärgerte ihn. Früher war er sehr sensibel gewesen, dieses Gespür mußte erst noch zurückkehren. Aber er ahnte, daß er sich beeilen mußte, wenn er die Hochzeit mit Jane Collins durchführen wollte.
»Schluß!« schrie er plötzlich.
Sofort verstummten die unheimlichen Gestalten. Abandur wandte sich wieder seiner blonden Braut zu. Einen Arm legte er auf ihre Schulter.
»Wer mich kennt, der weiß, wie sehr ich der Schönheit meiner Dienerinnen zugetan bin. Allein ihre Schönheit bedeutet Leben für mich. Alle waren bereit, mir davon zu geben, und sie werden es auch weiterhin sein. Die Menschen haben gesagt, daß Schönheit vergänglich ist. Da haben sie recht, ich aber behaupte, durch die Schönheit, die ich nehme, kann ich etwas anderes geben - das lange Leben…«
Er ließ seine Worte wirken. Niemand war da, der ihm Beifall klatschte oder zuschrie. Die dämonischen Gäste standen wie unter einem starken Bann.
»Und so frage ich dich, Jane Collins, der du den Trank der Hexen bereits zu dir genommen hast und den du nun aufrührerisch durch deine Adern fließen spürst, bist du bereit, mir, dem Hexenmeister Abandur, deine Schönheit zu weihen?«
Er hatte Jane während der letzten Frage gezwungen, ihm ins Gesicht zu schauen. Sie sah nur ihn.
Die hohe Stirn, die düsteren Augen, die kleine Nase mit den zu großen Löchern und dem breiten, auf sie erotisch wirkenden Mund, der halb offenstand, als wollte er, daß Jane Collins die Antwort hineinhauchte.
Sie wollte die Frage bejahen, aber sie brachte es nicht fertig. Da war trotz allem eine gewisse Hemmschwelle. Woher sie kam und wer sie ihr geschickt hatte, war ihr nicht klar, doch sie bestand.
Deshalb bekam sie kein Wort über die Lippen.
Das ärgerte Abandur. »Ich warte auf eine Antwort. Bist du bereit, mir deine Schönheit zu schenken und mir ein Stück deiner Seele abzugeben?«
»Ich… ich…«
»Antworte!«
Tu's nicht! Es war ihr Unterbewußtsein, das sie warnte. Tu's nicht! Du kommst nicht mehr los, du…
Die Gedanken rissen ab. Ihr Blickfeld wurde von dem Gesicht des Hexenmeisters eingenommen, und da dominierten die Augen, diese dunklen, gefährlichen Kreise, die alles konnten. Sie strahlten einen unbeugsamen Willen aus, sie hypnotisierten, sie blickten tief, bis in die Seele der anderen Person hinein, und Jane fühlte sich unter diesen Blicken nackt.
Sie begann zu zittern und hörte den gezischten Befehl des Hexenmeister. »Deine Antwort!«
Das Gesicht, die Augen, der Mund, der bohrende Blick, hinzu kam ihr wallendes Blut, das sie rauschen hörte und sich nicht dagegen wehren konnte, denn es überschwemmte alles.
Sie nickte.
Die Lippen verzogen sich zu einem ersten Lächeln, in dem noch Zweifel steckten.
»Du mußt es sprechen, kleine Jane. Alle wollen es hören, verstehst du? Alle.« Abandur hob seine Arme an und preßte die Handflächen leicht gegen Janes Wangen. »Alle…«
Die Detektivin nickte.
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