0496 - Das Knochenhaus
Respekt, das überraschte mich. Wieso war sie mutterseelenallein zu diesem verfluchten Haus gefahren? Damit hatte sie sich freiwillig in Lebensgefahr begeben, was ich ihr niemals zugetraut hätte. Ich lief die Treppe hinab, nickte Jane zu und fragte: »Alles okay?«
»Jetzt wieder.«
»Gut, wir reden später.« Ich warf noch einen knappen Blick auf die Leiche, bevor ich mich an Maya wandte und ihr auf die Beine half. Sie mußte sich gegen die Wand lehnen, so sehr zitterte sie plötzlich.
Aus großen Augen starrte sie mich an. Ihre Mundwinkel zuckten, sie wollte wahrscheinlich reden, stand leider noch zu sehr unter Streß.
»Beruhigen Sie sich erst einmal«, sagte ich. »Die Gefahr ist vorbei, Maya.«
Sie lachte etwas kratzig. »Vorbei, sagen Sie? Nein, Sinclair, es fängt erst an. Der Tote… er… er ist mein Bruder Eric.«
Das war mir mittlerweile auch klargeworden. »Er hätte auf mich warten sollen.«
Sie hob die Schultern. »Eric wollte eben keine anderen Menschen in Gefahr bringen.«
»Und weshalb sind Sie gekommen, Maya?«
»Ich hörte seinen Ruf.«
»Welchen Ruf?«
»Den meines Bruders. Seine Seele, sein Geist hat mit mir Kontakt aufgenommen, verstehen Sie? Er hat mich geführt und gelenkt. Er wollte, daß ich komme.«
»Was ist passiert?«
»Ich mußte schießen, John!« erklärte Jane. »Maya befand sich in Lebensgefahr.«
»Wie das?«
»Es ist etwas hier«, erklärte Jane. Sie deutete in die Dunkelheit des Kellers. »Von dort ist es gekommen. Es verschwand auch wieder in diese Richtung.«
»Die böse Frau?«
»Weiß ich nicht. Ich glaube nicht. Das sah mir anders aus. Wie Schlangen oder Tentakel.«
Ich strahlte in die Dunkelheit des Kellers, richtete den Schein zu Boden und entdeckte die offene Luke, in der der Wasserspiegel fast bis zum Rand stand und sich das Lampenlicht schimmernd auf die Oberfläche brach.
»Das ist es!« flüsterte Maya. »Das ist der Zugang zum absolut Bösen. Ich… ich habe meinen Bruder aus der Luke geholt. Er war angetrieben worden. Er tauchte hinein. Wissen Sie eigentlich, daß dieses Haus auf einem Totenschädel gebaut wurde?«
»Nein.«
»Es ist aber so. Ich habe es selbst gesehen.«
»Wo denn?«
»In meinem Orakel. Als Sie mich verlassen haben, nahm mein Bruder Kontakt mit mir auf. Ich… konnte in die Flammen der Kerzen schauen. Sie hatten sich vereint, und sie zeigten mir das Bild dieses furchtbaren Hauses. Es stimmt, das Haus steht auf einem Totenschädel. Als ich es sah, schwebte es fast über dem Boden. Das war unheimlich, ich bekam große Angst.«
»Haben Sie eine Erklärung?«
»Looza.« Jane hatte die Antwort gegeben. »Es hängt alles mit der keltischen Hexe zusammen. Sie regiert hier. Das Haus steht unter ihrer Kontrolle. Sie kann es manipulieren.«
»Dann glaubst du daran, daß dieser Totenschädel der Rest von Looza ist?«
»Ich weiß es nicht, John, aber ich habe ihre Anwesenheit schon gespürt, als ich dieses Haus betrat. Sie war plötzlich da, obwohl ich sie nicht entdeckte.« Jane drehte sich. »Looza ist überall, John. Sie sieht uns, wir aber sehen sie nicht. Wir können sie nur spüren. Wenigstens ich, du auch?«
»Nein, nicht so direkt.«
Maya zeigte auf die Öffnung. »Wer sie sehen will, muß in die Tiefe tauchen.«
»Vielleicht in den Schädel«, sagte ich, auf die Öffnung zugehend.
»Schon möglich.«
Am Rand blieb ich stehen und nahm den stinkenden und fauligen Modergeruch wahr, der mir von der Wasserfläche entgegenwehte. So roch es in den Sümpfen, wenn die Natur starb, wenn alles verfaulte und das Grün der Pflanzen zu einem schwarzen Brei wurde.
Den sah ich auch hier. Das Lampenlicht verteilte sich auf der Wasserfläche. Er drang auch eine Handlänge in die trübe Brühe ein. Im dunklen Wasser bewegten sich ebenfalls die Schlieren. Es waren die schwarzen Fangarme, doch sie hielten sich zurück und krochen nicht über den Lukenrand.
Bevor ich zurückging, hob ich die Preßluftflasche hoch und kontrollierte den Luftdruck.
»Du willst tauchen, John?«
»Ja, Sauerstoff ist noch genug drin.«
»Denken Sie an meinen Bruder.«
Ich hob die Schultern. »Ihn werde ich schon nicht vergessen, keine Sorge. Aber sagen Sie selbst, bleibt mir eine andere Chance, um Looza zu zerstören?«
»Wir könnten fliehen.«
»Nein, Maya. Das habe ich noch nie getan. Wenn ich einmal anfange, vor einem Problem wegzulaufen, geschieht dies immer wieder. Ich werde in die Tiefe tauchen und Looza finden. Sie muß dort unten sein, falls sich
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