Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
05 - Denn bitter ist der Tod

05 - Denn bitter ist der Tod

Titel: 05 - Denn bitter ist der Tod Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elizabeth George
Vom Netzwerk:
sah die Falle. Doch er ging zum Tisch, nahm sich ein Brötchen, ein scone, ein Stück Kuchen. Es schmeckte alles wie Sägemehl.
    Justine kam zu ihm und schenkte ihm Tee ein. Das fruchtige Aroma der modernen Kräutermischung, die sie bevorzugte, stieg dampfend in die Luft. Sie standen nebeneinander vor dem einladend gedeckten Tisch mit dem funkelnden Silber und den frischen Blumen. Glyn blieb am Fenster im anderen Zimmer. Keiner machte Anstalten, sich zu setzen.
    »Was hat die Polizei gesagt?« fragte Glyn. »Sie haben mich überhaupt nicht angerufen.«
    »Weil ich sie darum gebeten habe.«
    »Warum?«
    »Ich fand, es sei meine Aufgabe.« »Deine Aufgabe?«
    Anthony sah, wie Justine ihre Teetasse abstellte, jedoch nicht aufblickte.
    »Was ist ihr passiert, Anthony?«
    »Glyn, setz dich doch. Bitte.«
    »Ich möchte wissen, was passiert ist.«
    Anthony stellte seinen Teller neben die unberührte Tasse Tee. Er kehrte ins Wohnzimmer zurück. Justine folgte ihm. Er setzte sich aufs Sofa, bedeutete seiner Frau, sich zu ihm zu setzen und wartete, um zu sehen, ob Glyn sich vom Fenster entfernen würde. Sie tat es nicht. Justine drehte unaufhörlich ihren Ehering.
    Anthony berichtete Glyn die Fakten. Elena war morgens bei ihrem Lauftraining überfallen und getötet worden. Der Mörder hatte sie zusammengeschlagen und erdrosselt.
    »Ich möchte sie sehen.«
    »Nein, Glyn. Lieber nicht.«
    Zum ersten Mal schwankte Glyns Stimme. »Sie war meine Tochter. Ich möchte sie sehen.«
    »Nicht so, wie sie jetzt ist. Später. Wenn die Leute vom Bestattungsinstitut...«
    »Ich will sie sehen, Anthony.«
    Er hörte die schrille Spannung in ihrer Stimme und wußte aus Erfahrung, wohin das führen würde. Um es abzubiegen, sagte er hastig: »Eine Seite ihres Gesichts ist völlig zertrümmert. Man sieht die Knochen. Sie hat keine Nase mehr. Möchtest du das wirklich sehen?«
    Glyn wühlte in ihrer Handtasche und zog ein Papiertaschentuch heraus. »O Gott«, flüsterte sie. Dann: »Wie ist es geschehen? Du hast mir gesagt - du hast versprochen, daß sie niemals allein läuft.«
    »Sie hat gestern abend Justine angerufen und ihr für heute morgen abgesagt.«
    »Sie hat...« Glyns Blick schweifte von Anthony zu seiner Frau. »Sie sind mit Elena gelaufen?«
    Justine hörte auf, ihren Ehering zu drehen, ließ aber ihre Finger auf ihm liegen wie auf einem Talisman. »Anthony hat mich darum gebeten. Er wollte nicht, daß sie bei Dunkelheit allein am Fluß läuft. Deshalb bin ich mit ihr gelaufen. Gestern abend rief sie an und sagte, sie würde heute morgen nicht laufen. Anscheinend hat sie es sich dann anders überlegt.«
    »Wie lange ist das so gegangen?« fragte Glyn ihren geschiedenen Mann scharf. »Du hast gesagt, Elena würde nicht allein laufen, aber du hast kein Wort davon gesagt, daß Justine...« Abrupt schwenkte sie um. »Wie konntest du nur, Anthony? Wie konntest du Justine das Wohl deiner Tochter anvertrauen?«
    »Aber Glyn!« fiel Anthony ihr ins Wort.
    »Es ist doch klar, daß es sie nicht kümmert. Sie hat bestimmt nicht richtig auf Elena aufgepaßt.«
    »Glyn! Hör auf!«
    »Es ist doch wahr. Sie hat nie Kinder gehabt. Woher soll sie wissen, wie das ist, wenn man dasitzt und wartet und sich Sorgen macht? Wenn man Träume hat. So viele Träume, die jetzt alle kaputt sind, weil sie heute morgen nicht mit Elena gelaufen ist.«
    Justine hatte sich nicht gerührt. Ihr Gesicht war starr, eine gefrorene Maske guter Erziehung. »Kommen Sie, ich zeige Ihnen Ihr Zimmer«, sagte sie und stand auf. »Sie sind sicher sehr müde. Ich habe Ihnen das gelbe Zimmer gegeben, zum Garten hinaus. Da ist es ruhig.«
    »Ich möchte Elenas Zimmer haben.«
    »Oh - ja, natürlich. Kein Problem. Ich will nur rasch das Bett beziehen...« Justine eilte aus dem Zimmer.
    Glyn sagte sofort: »Wieso hast du ihr Elena anvertraut?«
    »Aber Glyn, was soll das? Justine ist meine Frau.«
    »Klar, das ist der springende Punkt, richtig? Was macht es dir schon aus, daß Elena tot ist? Du hast ja eine Frau zur Hand, die dir jederzeit eine neue Tochter bescheren kann.«
    Anthony sprang auf. Als Schild gegen ihre Worte beschwor er das Bild Elenas herauf, wie er sie zuletzt vom Fenster der Glasveranda gesehen hatte - lachend und winkend auf ihrem Fahrrad, als sie nach ihrem gemeinsamen Mittagessen zum Tutorium geradelt war. Sie waren allein gewesen, hatten beim Essen über den Hund geschwatzt, eine Stunde liebevollen Einverständnisses geteilt.
    Eine tiefe Qual erfaßte ihn.

Weitere Kostenlose Bücher