05 - Der Kardinal im Kreml
Golowko.
«Ist das eine dienstliche oder eine private Frage?»
«Eine private, wenn Sie nichts dagegen haben.»
«Sergej Nikolajewitsch, wenn es auf der Welt mit Vernunft zuginge,
würden wir uns zusammensetzen und diesen ganzen Mist in zwei, drei
Tagen unter Dach und Fach bringen. Eine Woche lang streitet man sich
jetzt um die Vorwarnzeit vor einer Inspektion. Und da man sich darüber
nicht einigen kann, redet man über alten Kram, der längst erledigt ist.
Wenn wir beide verhandeln würden, dann würde ich eine Stunde sagen,
Sie vielleicht acht. Und einigen würden wir uns dann irgendwann auf drei
oder vier -»
«Vier oder fünf.» Golowko lachte.
«Meinetwegen vier.» Auch Jack reagierte erheitert. «Na bitte. Wir
kämen jedenfalls überein.»
«Wir sind aber keine Diplomaten», meinte Golowko. «Wir halten uns
nicht an die Formen, sind zu direkt, zu pragmatisch. Ach, Ryan, aus
Ihnen machen wir noch einen Russen.»
Zurück zum Geschäft, dachte Ryan und stellte sich um. «Lieber nicht.
Mir ist es hier zu kalt. Passen Sie auf, Sie gehen einfach zu Ihrem
Chefunterhändler, ich wende mich an Onkel Ernie, und wir schlagen
ihnen eine Vorwarnzeit von vier Stunden vor. Und zwar auf der Stelle. Na, wie wär's?»
Das brachte Golowko aus dem Konzept, wie Ryan feststellte. Für den
Bruchteil einer Sekunde glaubte der Mann, Ryan meinte das ernst. Doch
der GRU/KGB-Offizier faßte sich schnell wieder. Und Ryan merkte
nicht, was für einen schwerwiegenden Fehler er gerade gemacht hatte. Sie sollten nervös sein, Ryan, verhalten sich aber entspannt, dachte
Golowko bei sich. Beim Abendempfang waren Sie verkrampft; gestern,
als Sie mir den Zettel zusteckten, hatten Sie feuchte Handflächen. Heute
aber reißen Sie Witze. Sie sind kein Geheimdienstprofi, das haben Sie
durch Ihre Nervosität bewiesen, aber auf einmal verhalten Sie sich wie
einer. Warum? Golowko behielt den Amerikaner im Auge, als alle
wieder zurück in den Konferenzsaal strebten.
Ryan, warum hast du dich gleich zweimal mit Gerasimow getroffen?
Warum warst du vor und nach der ersten Begegnung nervös... und auch
vor, aber nicht nach der zweiten?
Seltsam. Golowko lauschte dem eintönigen Leiern in seinem Kopfhö
rer - inzwischen war der amerikanische Chefdelegierte an der Reihe -,
aber seine Gedanken waren anderswo, bei Ryans KGB-Akte. Ryan,
John Patrick. Eltern: Emmet William Ryan und Catherine Ryan, geborene Burke, beide verstorben. Verheiratet, zwei Kinder. Studierte Wirtschaftswissenschaften und Geschichte. Wohlhabend. Kurze Dienstzeit
bei der Marineinfanterie. Früher Börsenmakler und Geschichtsdozent.
Wurde vor fünf Jahren CIA-Berater, vor vier Angestellter auf Teilzeitbasis. Kurz darauf als Analytiker übernommen. Keine Außendienstausbildung. Ryan war zweimal in Gewaltsituationen verwickelt und hatte sich
beide Male gut gehalten - das lag an der Ausbildung beim Marinekorps,
vermutete Golowko. Hochintelligent, sehr mutig, wenn erforderlich:
ein gefährlicher Widersacher. Ryan arbeitete dem CIA-Direktor direkt
zu und hatte zahlreiche Analysen erstellt. Doch für einen Geheimdienstauftrag war er nicht qualifiziert. Viel zu offen, dachte Golowko; wenn
dieser Mann etwas verheimlichte, merkte man es ihm sofort an.
Bisher hast du etwas verheimlicht, Ryan. Aber jetzt?
Jack merkte, daß der Mann ihn anstarrte, sah seinen fragenden Blick.
Der ist nicht auf den Kopf gefallen, dachte er. Wir rechneten ihn der
GRU zu, in Wirklichkeit aber ist er beim KGB - oder zumindest hat es
den Anschein, korrigierte sich Jack. Gibt es noch etwas, das wir über ihn
nicht wissen?
Colonel von Eich stand auf dem Flughafen Scheremetjewo an der hinteren Passagiertür seiner Maschine. Vor ihm arbeitete ein Sergeant an der
Türdichtung. Wie die meisten Flugzeugtüren öffnete sich diese erst nach innen und dann nach außen, damit die Dichtung sich aus ihrem Preßsitz lösen und zur Seite gleiten konnte, um nicht beschädigt zu werden. Schadhaften Türdichtungen waren schon mehrmals Flugzeuge zum Opfer gefallen, darunter eine DC-10 der THY, die 1974 bei Paris 346 Passagiere in den Tod riß. Unter ihnen hielt ein KGB-Soldat mit gelade
nem Gewehr am Flugzeug Wache.
«Ich verstehe nicht, weshalb bei Ihnen die Warnleuchte brennt, Colonel», sagte der Sergeant nach zwanzig Minuten. «Die Dichtung ist in
perfektem Zustand, der Schalter fürs Licht scheint auch in Ordnung zu
sein - hier stimmt alles, Sir. Ich sehe mir jetzt die Tafel im Cockpit an.» Verstanden? hätte Paul von Eich den KGB-Wächter
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