05 - Der Kardinal im Kreml
Geschäftsleute, ein paar Diplomaten - und es kam auch gelegentlich ein Russe, der im Ausland erstandene Kleidungsstücke pflegen lassen wollte. Eine Frau holte einen englischen Mantel ab, entrichtete drei Rubel und ging. Sie lief zwei Straßen weit zur nächsten Metrostation, fuhr mit dem Aufzug hinunter zum Bahnsteig und nahm einen Zug der Schdanowsko-Krasnopresnenskaja-Linie, die auf Stadtplänen lila eingezeichnet ist. Der Zug war so überfüllt, daß niemand gesehen haben konnte, wie sie die Kassette weitergab. Selbst sie bekam das Gesicht des Mannes nicht zu sehen. Dieser stieg an der nächsten Station, Puschkinskaja, aus. Zehn Minuten später fand eine weitere Übergabe statt, diesmal an einen Amerikaner, der wegen eines diplomatischen Empfangs am Vorabend etwas später auf dem Weg zur Botschaft war.
Sein Name war Ed Foley; er war Presseattache an der US-Botschaft. Er und seine Frau, auch sie CIA-Agentin, waren seit fast vier Jahren in Moskau und freuten sich schon darauf, dieser trostlosen grauen Stadt ein für allemal den Rücken kehren zu können. Ihre beiden Kinder hatten schon zu lange auf Hot Dogs und amerikanische Ballspiele verzichten müssen.
Erfolglos war ihre Zeit hier nicht gewesen. Die Russen wußten, daß die CIA eine Reihe von Ehepaaren eingesetzt hatte, doch daß diese Spione ihre Kinder mit ins Ausland nehmen könnten, war eine Vorstellung, mit der sich die Russen nicht so leicht abfanden. Auch hatte ihre Legende ihre Besonderheiten. Ed Foley war Reporter bei der New York Times gewesen, ehe er zum Außenministerium ging - er erklärte, das Gehalt sei ähnlich und als Polizeireporter käme man nicht so weit herum. Seine Frau blieb meist zu Hause bei den Kindern, sprang aber gelegentlich als Aushilfslehrerin an der anglo-amerikanischen Schule im Leninski-Prospekt 78 ein. Ihr ältester Sohn spielte Hockey, und die KGBMänner, die ihnen überallhin folgten, hatten in ihrer Akte stehen, Edward Foley II sei für seine sieben Jahre erstaunlich gut. Ärgerlich fand die sowjetische Regierung an der Familie nur die unangemessene Neugierde, mit der sich der ältere Foley um das Verbrechen auf den Straßen der Hauptstadt kümmerte, das wesentlich zahmer war als das, was er in New York beschrieben hatte. Doch damit war nur seine relative Harmlosigkeit bewiesen. Für einen Geheimdienst konnte er nicht arbeiten, dafür war seine Neugier viel zu offensichtlich. Schließlich waren Agenten bemüht, sich nach Möglichkeit unauffällig zu verhalten.
Die letzten Straßen von der Metrostation zur Botschaft ging Foley zu Fuß. Er nickte erst dem Milizionär vor dem Eingang des bedrohlich wirkenden Gebäudes höflich zu, dann dem Marineinfanteristen in der Halle. Offiziell wurde die Botschaft vom Außenministerium als «eng und schwer instand zu halten» beschrieben. Genausogut könnte man eine ausgebrannte Mietskaserne in der Bronx als «attraktiven Altbau» bezeichnen, dachte Foley. Sein Büro, ehemals ein Lagerraum mit Besenkammer, war bei der letzten Renovierung entstanden. Die CIA benutzte den Raum, dessen Besenkammer zu einer Dunkelkammer umgebaut worden war, nun schon seit zwanzig Jahren, aber Foley war der erste Bürochef, den man hier untergebracht hatte.
Foley, dreiunddreißig, hochgewachsen und sehr schlank, war ein New Yorker irischer Abstammung, in dem sich hohe Intelligenz mit sehr langsamem Puls und einem Pokergesicht verband. Er war im letzten Studienjahr von der CIA rekrutiert worden und hatte vier Jahre bei der New York Times gearbeitet, um seine «Legende» aufzubauen. In der City-Redaktion entsann man sich seiner als ausreichend gutem, wenngleich faulem Reporter, der eine fachmännische Prosa schrieb, aber im Grunde nie auf die Suche nach Stories ging. Sein Redakteur hatte ihn ohne Bedauern an die Regierung verloren. Der augenblickliche Korrespondent der New York Times nannte ihn einen Nebbich, einen langweiligen obendrein, und zollte ihm so das höchste Kompliment im Spionagegeschäft: Für den Geheimdienst ist der doch viel zu dumpf. Aus diesem und anderen Gründen hatte man Foley mit der Führung des ältesten und produktivsten im inneren Zirkel plazierten Agenten der CIA betraut: Oberst Michail Semjonowitsch Filitow, Codename KARDINAL. Der Name an sich war schon so geheim, daß nur fünf Leuten in der Agency bekannt war, daß er mehr bedeutete als einen rotgewandeten hohen Kirchenmann mit diplomatischem Rang.
Rohinformationen von KARDINAL wurden als Special Intelligence/ Eyes Only-DELTA
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