05 - Der Kardinal im Kreml
Lauf der Jahre hatte Filitow gelernt, daß nichts einen Kater so wirkungsvoll verscheucht wie Dampf. Übung hatte er genug. Selbst so früh am Tag war er nicht allein im Sandunowski-Bad sechs Straßen vom Kreml entfernt; eine Reihe anderer, vermutlich ebenfalls wichtiger Leute stapfte die Marmorstufen zum Dampfbad hinauf, denn es gab Tausende von Moskowitern, die mit dem Oberst die Krankheit und das Gegenmittel gemein hatten.
Seine Augen waren blutunterlaufen und verquollen, als er sich auszog. Nackt nahm er sich ein dickes Badetuch vom Stapel am Ende des Raumes, und eine Birkenrute. Filitow atmete die kühle, trockene Luft des Umkleideraums ein, ehe er die Tür zu den Dampfräumen öffnete.
Zwei Männer in den Fünfzigern führten ein Streitgespräch, vermutlich über Politik. Über dem Zischen des Dampfes, der aus einem Kasten in der Mitte des Raumes kam, hörte er ihre rauhen Stimmen. Mischa zählte noch fünf andere Männer, die in mürrischer Einsamkeit ihren Kater ertrugen. Er suchte sich einen Platz in der ersten Reihe und setzte sich.
«Guten Morgen, Genosse Oberst», sagte eine Stimme.
«Guten Morgen, Genosse Akademiker», begrüßte Mischa den anderen Stammgast. Er hielt die Birkenrute fest umklammert und wartete, daß der Schweiß zu fließen begann. Lange dauerte das nicht - die Raumtemperatur betrug fast sechzig Grad. Als erfahrener Badbesucher atmete er vorsichtig. Das Aspirin, das er zum Morgentee genommen hatte, begann zu wirken, doch sein Kopf war noch immer schwer. Er schlug sich mit der Birkenrute auf den Rücken, als wolle er das Gift aus seinem Körper austreiben.
«Und wie fühlt sich der Held von Stalingrad heute morgen?»
«Ungefähr so gut wie das Genie aus dem Kultusministerium.» Das löste ein gequältes Lachen aus. Mischa konnte sich nie an seinen Namen erinnern... Ilja Wladimirowitsch Dingsbums. Welcher Depp lachte schon, wenn er einen Kater hatte? Der Mann trank wegen seiner Frau, hatte er gesagt. Säufst also, um von ihr loszukommen, was? Du protzt hier herum, daß du deine Sekretärin fickst, aber ich würde meine Seele geben, wenn ich nur Elenas Gesicht noch einmal sehen könnte. Und die Gesichter meiner Söhne.
Der Mann ließ sich nicht abwimmeln. «Gestern stand etwas von Abrüstungsverhandlungen in der Prawda. Kann man auf Fortschritte hoffen?»
«Keine Ahnung», versetzte Mischa.
Ein Wärter kam herein, ein kleiner, vielleicht fünfundzwanzig jähriger Mann, der die Anwesenden zählte.
«Möchte jemand etwas zu trinken?» fragte er. Alkohol war in den Dampfbädern strikt verboten, aber das bewirkte, wie jeder echte Russe sagen würde, nur, daß der Wodka noch besser schmeckte.
«Nein!» kam die Antwort im Chor. Auf einen Nachtrunk hatte heute morgen niemand Lust, wie Mischa leicht überrascht feststellte. Nun ja, es war mitten in der Woche. Am Samstagmorgen würde es ganz anders aussehen...
Das ist also der Neue, dachte Mischa. Er blieb noch zehn Minuten sitzen und ging dann hinaus. Der Wärter saß im Vorraum. Filitow reichte ihm die Rute und das Handtuch und stellte sich dann unter die kalte Dusche. Zehn Minuten später war er ein neuer Mensch. Der Schmerz und die Depression waren verschwunden, die Belastung lag hinter ihm. Er kleidete sich rasch an und ging nach unten, wo sein Wagen wartete. Sein Feldwebel bemerkte den forschen Schritt seines Chefs und fragte sich, was daran so heilsam war, wenn man sich dünsten ließ wie ein Fisch.
Im Dampfbad hatten es sich zwei Männer inzwischen anders überlegt und den Wärter gebeten, etwas Alkoholisches zu besorgen. So trottete der Mann durch die Hintertür und zu einem Laden, der unter dem Deckmantel einer chemischen Reinigung Wodka verkaufte. Beim Erwerb der Halbliterflasche gab er auch eine kleine Filmkassette an den Mann weiter, die ihm sein Kontaktmann zusammen mit der Birkenrute überreicht hatte. Der Wärter war erleichtert. Die Reinigung war sein einziger Kontakt. Er kannte den Besitzer nicht und hatte den Erkennungssatz in der Furcht ausgesprochen, die Spionageabwehr des KGB habe diesen Teil des Moskauer CIA-Netzes bereits unterwandert. Er wußte, daß sein Leben so gut wie verspielt war, aber seit dem Jahr in Afghanistan und den Dingen, die er dort gesehen hatte und zu tun gezwungen worden war, mußte er einfach etwas tun. Kurz fragte er sich, wer der vernarbte alte Mann gewesen war, entsann sich aber dann, daß ihn die Identität des Fremden nichts anging.
Die Reinigung hatte vorwiegend Ausländerkundschaft - Reporter,
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