05 - Der Kardinal im Kreml
um und sah, daß eine Aktentasche am Handgelenk des Mannes festgeschlossen war. Das war vielversprechend. Der Bogenschütze bückte sich und versuchte erfolglos, die Handschelle zu lösen. Achselzuckend zog er seinen Dolch - würde er halt die Hand abschneiden müssen. Er drehte die Hand herum und begann.
Der Arm zuckte und ein schriller Schrei ließ den Bogenschützen aufspringen. Lebte dieser Mann etwa noch? Er beugte sich über das Gesicht und bekam Blut ins Gesicht gehustet. Die blauen Augen standen nun offen, waren von Schock und Schmerz geweitet. Der Mund bewegte sich, aber es kam nichts Zusammenhängendes heraus.
«Sieh mal nach, ob noch mehr leben», wies der Bogenschütze Abdul an, drehte sich dann zu dem KGB-Offizier um und sagte in Paschtu: «Tag, Russe.» Dabei fuchtelte er mit dem Dolch vor den Augen des Mannes herum.
Der KGB-Offizier, ein Hauptmann, begann wieder zu husten. Der Mann war nun voll bei Bewußtsein und mußte starke Schmerzen haben. Der Bogenschütze durchsuchte ihn nach Waffen. Als der Russe abgetastet wurde, wand er sich vor Qual. Mindestens gebrochene Rippen, dachte der Bogenschütze, aber die Glieder scheinen intakt zu sein. Nun kamen ein paar gequälte Worte. Der Bogenschütze konnte ein wenig Russisch, hatte aber Mühe, die Worte zu verstehen.
«Töten Sie mich nicht...»
Nachdem der Bogenschütze das verstanden hatte, fuhr er mit seiner Suche fort. Er nahm dem Hauptmann die Brieftasche ab und sah sich ihren Inhalt an. Die Fotos ließen ihn stutzen. Der Mann hatte eine Frau und einen Sohn. Das erste Bild des Jungen zeigte ihn im Alter von vielleicht zwei Jahren: ein kleiner, verschmitzter Wuschelkopf. Auf dem nächsten Bild aber war er kaum wiederzuerkennen: die Haare ausgefallen, die Haut straff über die Gesichtsknochen gespannt und durchscheinend wie die Seiten eines alten Korans. Das Kind war dem Tode geweiht. Wie alt war der Kleine jetzt wohl? Drei? Vier? Ein sterbendes Kind, dessen Lächeln Mut, Schmerz und Liebe verriet. Warum muß Allahs Zorn die Kleinen treffen? Er hielt dem Offizier das Bild vors Gesicht.
«Ihr Sohn?» fragte er auf russisch.
«Tot. Krebs», erklärte der Mann und sah dann, daß dieser Bandit ihn nicht verstand. «Krank. Lange Krankheit.» Für einen winzigen Augenblick verschwand der Ausdruck des Schmerzes aus seinem Gesicht und wich Trauer. Das rettete ihm das Leben. Zu seinem Erstaunen schob der Bandit den Dolch in die Scheide.
Auch der Bogenschütze war über seine Reaktion erstaunt. Es war, als habe Allah selbst ihn daran erinnert, daß nach dem Glauben als erster Tugend gleich die Barmherzigkeit kommt. Das allein reichte nicht - seine Kameraden ließen sich von einem Vers aus der Heiligen Schrift nicht umstimmen -, aber dann fand er in der Hosentasche des Mannes einen Schlüsselring. Mit einem Schlüssel öffnete er die Handschelle, mit dem anderen die Aktentasche. Sie war voller Hefter, die den Stempelaufdruck GEHEIM trugen. Dieses russische Wort kannte er.
«Mein Freund», sagte der Bogenschütze in Paschtu, «wir gehen einen Bekannten von mir besuchen. Vorausgesetzt, du lebst lange genug», fügte er hinzu.
«Wie ernst ist die Sache?» fragte der Präsident.
«Potentiell sehr ernst», erwiderte Judge Moore. «Ich möchte Ihnen von ein paar Leuten Vortrag halten lassen.»
«Hat Ryan die Evaluierung angefertigt?»
«Er wird auch kommen. Und dieser Major Gregory, von dem Sie bereits gehört haben.»
Der Präsident schlug seinen Terminkalender auf. «Ich kann Ihnen fünfundvierzig Minuten geben. Seien Sie um elf hier.»
«Wird gemacht, Sir.» Moore legte auf und rief mit dem Summer seine Sekretärin. «Schicken Sie Dr. Ryan rein.»
Eine Minute später trat Jack durch die Tür. Er bekam noch nicht einmal einen Stuhl angeboten.
«Um elf haben wir einen Termin beim Chef. Haben Sie Ihr Material bereit?»
«Wie es mit der Physik steht, weiß ich nicht, aber das wird Major Gregory wohl im Griff haben. Im Augenblick spricht er gerade mit dem Admiral und Mr. Ritter. Kommt General Parks auch?»
«Ja.»
«Gut. Was soll ich an Bildmaterial mitbringen?»
Darüber dachte Richter Moore einen Augenblick lang nach. «Wir wollen ihn nicht überfordern. Zwei Hintergrundaufnahmen und ein gutes Diagramm. Halten Sie die Sache auch für wichtig?»
«Sie stellt zwar keine unmittelbare Bedrohung für uns dar, ist aber eine Entwicklung, auf die wir hätten verzichten können. Ihre Auswirkungen auf die Abrüstungsverhandlungen sind schwer abzuschätzen. Eine direkte Verbindung
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