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0503 - Der Stierdämon

0503 - Der Stierdämon

Titel: 0503 - Der Stierdämon Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Werner Kurt Giesa
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sah nur noch die zur Statue verwandelte Nicole.
    Nie wieder ihr Lachen hören. Ihre Stimme, ihren Duft wahrnehmen. Nie wieder ihre Haut spüren, ihre küssenden Lippen, ihre streichelnden Hände. Nie wieder streiten und lieben. Nie wieder Angst und Glück. Nie wieder höchste Erfüllung im gemeinsamen Beisammensein. Nie wieder.
    Nur noch ein metallischer Klotz.
    Er stieß sie heftiger an, ohne sie bewegen zu können. Sie schien mit dem Sitz fest verbunden zu sein. Alles eine einzige, große Einheit.
    Sekundenlang erwachte in Zamorra der Wunsch, den Urheber mit eigenen Händen zu erwürgen. Aber traf den Gnom wirklich eine Schuld? Er hatte doch nur helfen wollen, und es war um Sekundenbruchteile gegangen. War nicht Torre Gerret der wirklich Schuldige? Und Zamorra stellte sich vor, Gerret vor sich zu haben, ihn für dieses Grauen zu Rechenschaft zu ziehen und ihn zu töten…
    Nein. Er konnte die gedankliche Vorstellung nicht zu Ende bringen. Er war kein Rächer, selbst in diesem grauenhaften Fall nicht. Torre Gerret zu töten, war keine Lösung. Davon wurde Nicole auch nicht wieder lebendig. Es wurde höchstens ein Unrecht dem anderen hinzugefügt.
    Oft hatte Zamorra sich überlegt, wie es sein würde, wenn Nicole plötzlich starb. Aber das war immer nur Theorie gewesen. Jetzt jedoch war der Ernstfall eingetreten, und er wußte nicht mehr weiter.
    Alles war so bedeutungslos geworden.
    Zamorra ballte die Faust und schlug gegen die Sitzfläche. Es tat weh.
    »Warum?« flüsterte er. »Warum nur? Und - warum so?«
    Im Kampf gegen eine dämonische Wesenheit wäre es so etwas wie Berufsrisiko gewesen. Aber Torre Gerret war kein Dämon. Er war ein Mensch und als solcher unmenschlicher als selbst der schlimmste Dämon, mit dem Zamorra jemals zu tun gehabt hatte.
    Unwillkürlich stöhnte er auf. Plötzlich war alles so sinnlos geworden.
    Du wirst leiden, glaubte er plötzlich die Worte wieder zu hören, die an der Quelle des Lebens zu ihm gesprochen worden waren. Du wirst Freunde verlieren, die du nicht missen willst.
    Bitter lachte Zamorra auf. »Das war’s dann wohl«, flüsterte er im Selbstgespräch. »Tausende von Dämonen und Schwarzmagiern sind an mir gescheitert. Aber du hast es geschafft, Gerret. Du Ausgeburt der Hölle…«
    Er konnte den Anblick der goldenen Nicole-Statue nicht mehr ertragen. Er stieg wieder aus, stand im einsetzenden Regen ohne die Tropfen zu spüren. Er breitete die Arme aus und sah in den tiefschwarzen Wolkenhimmel.
    Und er schrie seine Verzweiflung in die Nacht…
    ***
    Auf den britischen Inseln werden öffentliche Lokale für gewöhnlich um elf Uhr abends geschlossen. In Cluanie-Bridge machte Keith Ulluquart seinen Pub zu, wenn der letzte Gast ging. Constable McCloud, das wache Auge des Gesetzes, pflegte zu später Abendstunde deshalb die Ziffern auf seiner Armbanduhr in der schummerigen Kneipenbeleuchtung nicht mehr so richtig zu erkennen. Schließlich wollte er ja auch zu vorgerückter Stunde, wenn er damit rechnete, gesicherten Feierabend zu haben, noch seinen Einschlaf-Whisky trinken können!
    Diesmal aber gab es für ihn nicht nur den Mitternachtstrunk. Er hatte schon lange vorher angefangen. Erstens war seine vorgeblich bessere Hälfte auf Tournee und klapperte bei ihrem alljährlichen Traditionsbesuch die gesamte weitläufige Verwandtschaft ab, die an ihrem Göttergatten nicht interessiert war; den Beruf des Polizisten hielten die einen für anrüchig, den anderen war sein Dienstrang zu niedrig. Aber wie sollte er in einem Provinznest wie Cluanie Beförderungspunkte sammeln? Deshalb war er nach dreißig Dienstjahren immer noch Constable.
    Zweitens war da der Ärger mit den Besserwissern von der Kripo Inverness gewesen, die angeblich von nichts etwas wußten und nicht mal den Mann kennen wollten, mit dem McCloud höchstpersönlich telefoniert hatte, und zwar, als er noch stocknüchtern war. Wenn Nicole Duval ihn nicht gebremst hätte, wäre er so persönlich wie wutschnaubend selbst nach Inverness gefahren und hätte diesen ignoranten Nichtskönnern mit kreisender Kelle klar gemacht, daß sie ihn nicht für dumm verkaufen konnten.
    Statt dessen soff er sich jetzt einen prächtigen Affen an. Schließlich wartete zu Hause niemand mit der schlagbereiten Teigrolle. Und damit ihm auf dem Heimweg keiner auf die Hände trat, hatte er alles Nötige veranlaßt und jemanden gebeten, ihn notfalls auf Abruf mit der Schubkarre bis vors Bett zu fahren; vorsorglich hatte er deshalb auch die Haustür

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