0506 - Das unheimliche Grab
fortgelaufen, Herr Sinclair. War das Frühstück doch nicht so gut?«
»Im Gegenteil, es war ausgezeichnet. Nur ist da ein kleines Malheur passiert.«
»Und was, bitte?«
»Wir sind ja zu dritt gewesen…«
»Richtig, Herr Dimitrou.«
»Um ihn geht es«, übernahm Will das Gespräch und legte seine Hände auf die Rezeptionstheke, als er sich zu der blonden Wirtin vorbeugte. »Er ist verschwunden.«
Die Frau schüttelte den Kopf. »Wie das?«
»Ja, einfach weg. Mitten in der Nacht.«
»Aber…« Sie legte den Stapel Briefe zur Seite. »Es ist doch keine Zechprellerei – oder?«
»Nein, das auf keinen Fall.« Will erklärte, was wir vorgefunden hatten. Die nette Wirtin wurde blaß und wußte nicht, was sie dazu sagen sollte.
»Jetzt möchten wir von Ihnen wissen, ob Sie vielleicht in der Nacht noch etwas bemerkt haben oder ein anderer Gast etwas gesehen hat, was ihm verdächtig vorkam und worüber er mit Ihnen gesprochen hat.« Will schaute die Frau auffordernd an, die aber schüttelte bedauernd den Kopf.
»Tut mir leid, ich kann Ihnen wirklich nicht helfen. Ich habe nichts gesehen.«
»Das ist Pech«, sagte der Kommissar.
Ich stimmte ihm innerlich zu, dachte aber schon weiter und stellte der Wirtin auch die entsprechende Frage. »Gibt es in diesem Ort eine Polizeistation?«
»Ja.« Sie nickte heftig. »Eigentlich hatte man sie schließen wollen, aber die Proteste der Bürger waren zu stark. Wachtmeister Prechtl ist sehr beliebt bei den Einwohnern. Wenn Sie Herrn Dimitrou suchen wollen, wird Herr Prechtl Ihnen bestimmt behilflich sein.«
»Das wäre sehr nett.« Ich schaute Will Mallmann an, der ebenfalls dafür war.
Als wir gehen wollten, rief die Wirtin. »Wie ist es mit dem Frühstück, Herr Sinclair?«
Ich drehte mich um und hatte zuvor von Will schon einen Rippenstoß kassiert. »Tut mir leid. Zum Glück habe ich schon etwas probiert, laufe also nicht mit nüchternem Magen in der Gegend umher.«
»Und Sie, Herr Mallmann?«
Will sah eine Schale mit Obst in der Nähe stehen und entnahm ihr einen Apfel. »Ich habe heute meinen Obsttag. Es ist doch gestattet – oder?«
»Aber gern, die Äpfel sind frisch von unseren Bäumen.«
»Dann bis später. Und vielen Dank.«
Wir verließen das Hotel. Will ging zum Wagen. Die Sonne hatte den feuchten Film der Nacht bereits von der Karosserie gedampft.
Nur an den Rändern der Scheiben hingen noch Tropfen.
Ich stieg ein. Will fuhr sehr schnell an, ich hatte kaum die Tür schließen können.
»Du hast es aber eilig.«
»Sicher. Dieser verdammte Fall bedrückt mich. Es war schließlich unser Fehler, daß man Dimitrou hatte entführen können.«
»Falls es eine Entführung war.«
»Denkst du, daß er freiwillig mitgegangen ist?«
»Das will ich nicht ausschließen.«
Der erste Eindruck hatte nicht getrogen. Dieser kleine Ort im Voralpenland war wirklich sauber und sehenswert. Er ließ den Streß und die Hektik des Alltags vergessen.
Wie nicht anders zu erwarten, lag die Polizeistation in der Ortsmitte, eingebettet in eine Häuserzeile, die man als sehr schmuck bezeichnen konnte.
Veranden, Blumen vor sauberen Scheiben, kein Schmutz auf den Gehsteigen und Straßen. Parktaschen waren hell aufgezeichnet. Ein Stück weiter begannen die Geschäfte. Ich sah nicht nur Lebensmittelläden, auch Souvenirbuden und Boutiquen, in denen Kleidung verkauft wurde.
Zumeist ältere Touristen bevölkerten den Ort, saßen auf Bänken und spazierten an uns in Wanderkleidung vorbei.
»Wirst du da nicht neidisch?« fragte ich Will.
»Ein wenig schon.«
Das Schild glänzte im Licht der Sonne. Der Polizeistern schien wohl jeden Morgen poliert zu werden. Drei Stufen führten hoch zu einer Tür, die nicht verschlossen war.
Wir mußten uns nach links wenden. Rechts ging es zu den Amtsstuben der Verwaltung.
Bevor wir eintraten, klopfte Will gegen die Tür. Eine sonore Stimme rief: »Ist offen.«
Wir betraten einen sauberen Raum, in dem der Wachtmeister Prechtl residierte. Er war ein bayerischer Bilderbuch-Polizist, dem die Tracht bestimmt besser stand als die Uniform. Die Jacke hatte er über denselben Stuhl gehängt, in den er auch sein mächtiges Hinterteil geklemmt hatte.
Vor ihm auf dem Schreibtisch lagen keine Akten. Dort stand eine echte Brotzeit, zu der auch ein Krug Bier gehörte, aus dem Prechtl bei unserem Eintritt einen tiefen Schluck genommen hatte. In Bayern ist Bier ja kein Alkohol. Man trinkt es hier zu jeder Tages- und Nachtzeit.
»Was kann ich für euch
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