0509 - Ein Gehängter kehrt zurück
hat er mich in der Nacht besucht.«
»Was war der Grund?«
»Er ist so ruhelos, wissen Sie? Er findet keinen Schlaf, nicht den richtigen und nicht den ewigen. Er muß noch etwas erledigen. Hier ist vieles anders.«
»Das habe ich inzwischen auch bemerkt«, sagte ich. »Und was hätte Ihr Mann zu erledigen?«
»Er muß den Gehängten finden!«
Bill schlug gegen seine Stirn. »Was ist das denn schon wieder?« beschwerte er sich. »Der Gehängte. Kann mir das mal einer erklären?«
»Ich – vielleicht«, sagte Mrs. Miller.
Eliza Burton war vergessen. Wir schauten Mrs. Miller an, die nicht so recht mit der Sprache herausrückte. »Ich weiß nicht, wie ich anfangen soll, Mr. Sinclair…«
»Am besten von vorn.«
»Gut, schön, aber die Geschichte ist ziemlich verworren und unglaubwürdig.«
»Das macht nichts.«
Mrs. Miller holte noch einmal tief Luft. »Es ist so gewesen. Diese Insel war nicht immer ein Paradies, wie wir es jetzt kennen. Sie ist damals etwas anderes gewesen. Ich würde sie als Hinrichtungsstätte und Gefängnis bezeichnen. Man hat auf Tresco Island Verbrecher gehängt. Es gibt hier einen Felsen dicht am Meer. Dort hat man die Menschen aufgehängt, und der alte Galgen steht dort immer noch. Damit hatten die Mönche hier nichts zu tun. Bis zu dem Tag, als Verbrecher auf die Insel kamen. Es waren Mörder, sehr schlimme Menschen. Sie suchten Unterschlupf, fanden ihn im Kloster und terrorisierten die Mönche. Man hat die frommen Männer auch getötet, bis sie sich zur Wehr setzten. Auch sie haben dann zurückgeschlagen und den Anführer gehängt. Nach dieser Tat haben die Mönche das Kloster verlassen. Vielmehr diejenigen, die noch lebten.«
»Wo sind die anderen geblieben?« fragte Bill.
»Vermodert in den Kellern.«
Das konnte hinkommen. Mir war nur nicht klar, was Elizas Mann damit zu tun gehabt haben sollte. Diese Frage stellte ich Mrs. Miller ebenfalls.
»Er war kein Mönch, aber er arbeitete im Kloster als Gärtner oder Mädchen für alles. Er soll es auch gewesen sein, der den Anführer der Bande zum Galgenfelsen geschleppt hat, und der Anführer schwor ihm schreckliche Rache. Er war auch einen Tag nach der Hinrichtung verschwunden. Niemand wußte, wer ihn vom Galgen genommen hatte.«
»Danke«, sagte ich und wandte mich an Eliza Burton. »Sie haben die Worte gehört. Stimmt das?«
»Ja, in etwa.«
»Bitte, dann erzählen Sie die genaue Wahrheit.«
»Mein Mann hatte Angst. Wir sprachen oft darüber, daß sich der Anführer rächen würde. Das ahnten auch die Mönche, denn sie hatten Francis berichtet, daß dieser böse Mensch ein Diener des Teufels war. Er hat sich mit ihm verbündet. Er und seine Leute sollten im Namen des Teufels dieses Kloster in Besitz nehmen. Sie handelten nach Auftrag, wenn Sie bitte verstehen.«
»Ja, schon – und weiter?«
»Francis rechnete immer damit, daß ihn die Rache treffen würde. Und das ist nach einigen Jahren geschehen, als unser Sohn bereits auf der Welt war. Er kehrte eines Nachts nicht mehr zurück. Tage später sahen Fischer seine Leiche im Meer treiben. Da die See stürmisch war, gelang es ihnen nicht, meinen Mann zu bergen. Sie berichteten nur davon, und wir gingen davon aus, daß er tot war. Ich aber habe ihn oft gesehen. Er kam in der Nacht, ohne sich ins Haus zu trauen und sprach davon, daß er zum Kloster müsse, um dort eine alte Schuld zu begleichen. Erst dann würde er Ruhe haben.«
»Welche Schuld?«
»Ich kann es nicht sagen. Sie muß mit dem letzten Gehängten zu tun gehabt haben. Nachdem die Mönche das Kloster verlassen hatten, ist es ein schlimmer Ort geworden. Der Teufel und seine böse Seele sollen sich hier breitgemacht haben, so erzählt man. Hier wird noch einmal abgerechnet, habe ich den Eindruck.«
»Und dazwischen sind die beiden Jungen geraten?«
»Das sieht so aus, Mister. Ich habe Benny stets gewarnt, dem Kloster einen Besuch abzustatten. Er ist ein Burton, er wird ebenfalls auf der Liste stehen. Bisher ist er nicht hingegangen, glaube ich, aber in der vergangenen Nacht verschwand er und kam nicht mehr zurück.«
»Wie auch unser Junge!« sagte Sheila mit spröde klingender Stimme.
Ich sah, daß Bill beide Hände ballte. Auch er dachte verzweifelt über eine Verbindung zwischen den Vorfällen der Vergangenheit und dem Verschwinden der Kinder nach.
»Was kann ihnen denn passiert sein?« wandte ich mich wieder an Eliza Burton.
»Ich… ich weiß es nicht.«
»Sie müssen hier im Kloster gewesen sein!« rief
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