0509 - Ein Gehängter kehrt zurück
klang.
»Wie soll ich das verstehen?«
»Egal.«
Christiane Miller bekam Magendrücken. Okay, sie war mit Eliza Burton nie sonderlich fest befreundet gewesen. Die beiden Frauen waren Nachbarn, mehr nicht, auch wenn sie ziemlich weit entfernt wohnten. Aber wie sich Eliza jetzt verhielt, so kannte Mrs. Miller sie nicht. Auch ihr Gesicht zeigte sich verändert, als wäre ein Schatten über die Züge gefallen. Sie hatten etwas Teuflisches bekommen. Die Augen glichen dunklen Teichen mit einem unheimlichen Glanz auf der Oberfläche.
Die Kleidung, das Kopftuch, das paßte zusammen. Es gab der Frau etwas Dämonisches, schon leicht Hexenhaftes. So ähnlich hatten die Frauen des Mittelalters ausgesehen, die zu Unrecht auf den Scheiterhaufen verbrannt worden waren.
»Du weißt mehr, nicht?« Während der Frage schielte Christiane auf die Tür.
»Was soll ich wissen?«
»Über die verschwundenen Kinder. Aber auch dein Sohn ist dabei, vergiß es nicht.«
»Ich weiß.«
Mrs. Miller spürte die Gefahr. Da hatte sich etwas verdichtet, das ihr Furcht einflößte. Sie bewegte sich auf die Tür zu, doch Eliza streckte nur die Hand aus.
»Was willst du, Chrissy? Wo willst du hin? Sag es mir! Fühlst du dich unwohl?«
»Mir gefällt es hier nicht. Dieses Haus besitzt eine unheimliche Atmosphäre. Hier ist Böses geschehen.«
»Das stimmt. Der Teufel hat dem Kloster einen Besuch abgestattet. Er wollte es unter seine Kontrolle bringen.«
»Hat er es denn geschafft?«
»Ja!« Die Antwort klang wie ein drohendes Knurren.
Chrissy Miller streckte die Arme vor. »Und das alles ist dir bekannt, Eliza?«
»Ja, das weiß ich.«
»Woher? Woher hat man diese fürchterlichen Erkenntnisse?«
Eliza amüsierte sich. »Vielleicht stecke ich mit unter einer Decke. Der Teufel kann interessant sein, glaub mir. Ich habe viel von ihm gehört. Mein Mann…«
»Er ist tot!«
»Tatsächlich?« Sie lachte schrill. »Mich besuchte er in der Nacht. Er trat an das Fenster, er hob seinen Arm, krümmte die Finger und pochte gegen die Scheibe.« Während dieser Worte spielte sie genau nach, was geschehen war.
»Du bist verrückt!«
»Nein, das bin ich nicht. Hier sind Dinge geschehen, die du nicht überblicken kannst. Der Tag der großen Abrechnung ist da. Er ist zurückgekehrt.«
»Er? Wen meinst du damit?«
»Der letzte Gehängte. Er kam zurück. Er stieg aus dem See. Er kam als Skelett, aber er lebte. Ein lebendes Skelett, und er wird abrechnen wollen.«
»Mit deinem Mann?«
»Ja, mit ihm oder mit mir? Wer weiß das schon? Es entscheidet sich am Galgenfelsen.«
Christiane Miller wollte das alles nicht glauben. Sie schüttelte den Kopf und wischte über ihre Augen. »Das ist doch alles Lüge. Du spielst mir etwas vor, Eliza. Du hast doch auch ein Kind, das verschwunden ist! Wo steckt Benny, wo der andere Junge?«
»Sie hätten nicht herkommen dürfen. Jetzt müssen die beiden den Tribut zahlen.«
»Heißt das etwa, daß sie sterben können?« Mrs. Miller konnte es nicht fassen. »Zwei Kinder?«
»Sie sind in den Kreis hineingeraten«, erwiderte Eliza Burton und zeichnete mit der Fußspitze das nach, was sie eben angedeutet hatte.
Einen Kreis auf den Boden.
»Dann muß man sie hinausreißen. Es ist auch dein Sohn dabei, Eliza, vergiß das nie. Dein eigen Fleisch und Blut!«
Die Burton lächelte. »Tatsächlich?«
Chrissy Miller zwinkerte. »Ich verstehe nicht, was diese Frage überhaupt sollte?«
»Weißt du genau, daß es mein Fleisch und Blut ist.«
»Das nehme ich doch stark an.«
»Annehmen heißt nicht wissen.«
Christiane Miller ging ein ganzer Kronleuchter auf. Der Schrecken, den sie dabei spürte, zeichnete sich auf ihrem Gesicht ab. »Das darf doch nicht wahr sein. Du lügst!«
»Nein, ich lüge nicht. Benny ist nicht mein Kind. Wir haben es damals angenommen. Es wurde ausgesetzt!«
»Hier? Hier auf der Insel?«
»Woanders. Wir nahmen es mit. Als Baby, weißt du? Und wir haben es geschafft, daß die Leute glaubten, es wäre unser Kind. Das ist die ganze Wahrheit.«
Mrs. Miller schloß die Augen, als wollte sie die gesamte grauenhafte Wahrheit kurzerhand verdrängen.
»Das ist nicht möglich!« hauchte sie. »Nein, das ist ein Teufelsspiel.«
»So kannst du es nennen!«
»Und was hast du davon? Sag es! Was hast du davon, wenn du deinen Sohn opferst?«
Eliza breitete die Arme aus. »Ich habe ihn nicht geopfert!«
»Aber er ist verschwunden!« schrie Chrissy die andere an.
»Bist du sicher?«
»Ja, ich…« Sie
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