051 - Die gelbe Schlange
Behendigkeit bewies, und beide folgten Clifford durch das leere Schiff. Verabredungsgemäß drehte der Führer des Motorbootes ab, nachdem er sich überzeugt hatte, daß alle drei sicher an Bord waren, und das kleine Fahrzeug verschwand in der Nacht.
»Wir wollen hinuntergehen«, flüsterte Lynne, eilte voraus und stieg vorsichtig den Niedergang hinunter, jeden Augenblick darauf gefaßt, daß man ihn anrufen würde.
Aber auch unten war alles menschenleer. Aus einer offenen Tür im Vorschiff hörte man den Klang einer Mundharmonika, von oben kam das Klopfen eines Hammers gegen einen Eisenkeil, wo noch verspätet eine Ladeluke geschlossen wurde. Ein enger Gang führte von hier bis unter das Hauptdeck. Wenn sie dieses erreichten, ohne die Aufmerksamkeit der Männer auf der Kommandobrücke zu erregen, bestand die Möglichkeit, ein Versteck ausfindig zu machen. Im Schatten der Reling kriechend, gelangten sie schließlich ohne Zwischenfall an ihr Ziel und entdeckten auch einen Platz, an dem sie sich verbergen konnten. Unmittelbar unter der Brücke und genau zwei Decks tiefer lag eine große Kabine. Nach den Schrammen und der Verfärbung der Wände zu schließen, hatte man früher Stückgut darin verstaut. Jetzt ließen zwei trübe brennende Wandlichter erkennen, daß dieser Raum als Passagierkabine dienen sollte. Ein Tisch und einige Stühle standen darin, ein großes Paket mit der Aufschrift einer bekannten Londoner Buchhandlung lag auf dem Tisch, und ein nagelneuer Teppich bedeckte den Fußboden. Er mußte erst vor ganz kurzer Zeit dorthin gelegt worden sein, denn er rollte sich noch an den Kanten. Obwohl der Raum die ganze Breite des Schiffes einnahm, war er doch nicht mehr als drei Meter tief. In der hinteren Eisenwand befanden sich zwei schmale Türen. Die eine war mit einem Vorhängeschloß versehen und mit Bolzen befestigt, die andere war nur angelehnt. Clifford stieß sie auf und ging in die Kammer, die er mit seiner Taschenlampe absuchte, ohne jedoch etwas Besonderes zu entdecken.
Es war nur eine winzige Kabine ohne Fenster. Frische Luft wurde durch einen Deckenventilator zugeführt. Die Atmosphäre war rein, und es herrschte ein angenehmer Luftzug. In einer Ecke war ein schmales Messingbett an der Wand verklammert, in der Ecke gegenüber ein kleines Duschbad eingerichtet. Ein mit Schnitzereien überladener Kleiderschrank, der viel zu groß für einen so kleinen Raum war, vervollständigte die Einrichtung.
Als Clifford hörte, daß sich Schritte näherten, winkte er seine beiden Gefährten in die Kammer hinein. Er spähte durch die nicht ganz geschlossene Türöffnung und sah einen chinesischen Matrosen in die größere Kabine eintreten. Der Mann schaute sich um, ging sogleich zur Tür zurück und rief etwas. Ein anderer Matrose kam zu ihm, und sie sprachen miteinander in einer Mundart, die weder Joe Bray noch Clifford verstanden. Die Männer waren offenbar Südchinesen, und der Inhalt ihres Gesprächs schien sie sehr zu belustigen, denn sie unterbrachen ihre Unterhaltung oft durch rauhes Gelächter.
Plötzlich streckte einer der Männer seine Hand aus, faßte die Tür der inneren Kabine und schlug sie zu. Bevor Clifford noch recht wußte, was geschah, hörte er schon den Riegel einschnappen und auch noch die Tür der größeren Kabine zuklappen. Sie waren in der Falle!
Es war ein Tag ununterbrochenen Elends für Mr. Stephen Narth gewesen. Der Rest von Gewissen, den sein hartgesottener Egoismus noch übriggelassen hatte, war überraschend empfindsam im Bewußtsein des Bösen, das er einem unschuldigen jungen Mädchen angetan hatte. Wieder und wieder rief Stephen sich Fing Sus Versprechen ins Gedächtnis zurück, daß dem Mädchen gewiß kein Leid geschehen werde - und wieder und wieder sagte ihm seine Vernunft, daß er sich selbst belüge. Und um das Maß seines Elends voll zu machen, traf ihn wie ein Blitz aus heiterem Himmel die Nachricht, daß Joe Bray am Leben war, und daß der Reichtum, den er fast schon greifen konnte, sich in Schaumgold verwandelt hatte.
Joe Bray lebte!
Er hatte sich einen großartigen Scherz mit seinem Erben erlaubt. Jetzt gab es für Stephen überhaupt keinen Ausweg mehr, nur noch die Hoffnung auf die Redlichkeit Fing Sus.
Stephen Narth war ein zu intelligenter Mann, um daran zu glauben, daß der Chinese alle seine Versprechungen einhalten würde. Und noch standen fünfzigtausend Pfund auf dem Spiel.
Selbst der wirklichkeitsfremdeste aller Chinesen würde den Anspruch auf dieses
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