0514 - Macumbas Totenhöhle
gefüllt.
Wieder begann Jane zu kämpfen, obwohl sie es eigentlich gar nicht wollte.
Etwas wallte in ihrem Innern hoch. Es war eine immense Kraft, ein Rest der alten Hexenmacht, die noch in ihr steckte. Sie spürte das Brausen hinter ihrer Stirn, das Blut fing an zu kochen. Schon einmal hatte sie Virgil abwehren können, als zwei magische Auren aufeinander prallten.
Jetzt auch?
Nein, er war plötzlich weg!
Es gab kein Gesicht mehr hinter dem grauschwarzen Scheiben-Rechteck. Nur die Dunkelheit, die Leere, das war alles.
Tief atmete sie aus. Schlagartig ging es ihr besser. Sie konnte wieder normal reagieren, der Herzschlag normalisierte sich, die Atmung ebenfalls, und Jane ging zurück.
»Der Sieg!« hauchte sie, ohne es selbst fassen zu können. »War das tatsächlich der Sieg?«
Sie besaß jetzt sogar die Kraft, darüber näher nachzudenken. Auch die Erinnerung an das Gewesene konnte sie nicht mehr aufputschen.
Jetzt waren die Gegebenheiten wieder normaler, viel normaler.
Sie schloß die Augen, lauschte in sich hinein, suchte nach einem Weg zu ihrem zweiten Ich, der ihr aber verborgen blieb. Dieser Pfad war noch zu verschlungen, um ihn zu finden.
Etwas anderes geschah mit ihr.
Es war mit einem Kraftstoß zu vergleichen, der ihren Körper durchtoste. Eine Art von Energiebombe, die plötzlich zerplatzte und einen Antrieb in Bewegung setzte.
Jetzt wußte sie, was sie wollte.
Innerhalb der folgenden Sekunden wurde Jane Collins eine andere Person. Äußerlich blieb sie die gleiche, ihr Inneres aber veränderte sich. Das spiegelte sich auch in ihrem Blick wider.
Die Augen bekamen einen anderen, einen härteren Glanz. Man hätte ihn mit dem Wort Wille umschreiben können.
Wille und Energie!
Sie drehte sich der Tür zu, hatte die rechte Hand zur Faust geballt wie zum Zeichen des Sieges. Die folgenden Worte tropften über ihre Lippen. »Ja«, und es klang wie ein Schwur. »Ja, ich werde mich euch stellen. Ich habe die Kraft. Ich werde Macumba die Stirn bieten. Seine Totenhöhle soll nicht siegen. Dafür trete ich ein.«
Jane ging auf die Tür zu. Sehr entschlossen, dennoch vorsichtig.
Lady Sarah Goldwyn sollte auf keinen Fall merken, zu welch einer Tat sich Jane entschlossen hatte.
Sie öffnete die Tür, die sich glücklicherweise fast geräuschlos in den Angeln bewegen ließ. Der Flur war leer. Die Lampe, nicht mehr als eine Notbeleuchtung, ließ den Schein durch den Flur fließen.
Jane verließ den Raum, ging auf die Treppe zu und trat so behutsam auf, daß sie kaum einen Laut verursachte. Hinter Lady Sarahs Zimmertür rührte sich nichts. Dafür vernahm Jane das Rauschen von Wasser. Wie jeden Abend nahm die Horror-Oma auch jetzt ein Bad.
Jane erreichte den unteren Flur, wo sich die Garderobe befand. Ihr Mantel hing über dem Bügel, die Schuhe standen bereit. Jane schlüpfte hinein, streifte den Mantel über und zögerte noch, die Tür zu öffnen. Sie wußte mit hundertprozentiger Sicherheit, was sie dahinter erwartet. Nicht nur die feuchte Nachtluft, nein, da lauerte noch eine andere Überraschung auf sie.
Die Tür war bereits von innen verschlossen. Das tat Sarah Goldwyn jeden Abend und ließ es sich auch nicht nehmen.
Jane drehte den Schlüssel zweimal und öffnete mit einem Ruck.
Normalerweise hätte sie von der Schwelle aus durch den Vorgarten bis hin zum Gehsteig schauen können.
Das war diesmal nicht möglich.
Vor ihr stand Virgil!
Breit, wuchtig, wie ein Kanten. Ein Mensch, der keinen Zentimeter weichen würde.
Wieder schauten sie sich an. Nach Sekunden passierte das Unwahrscheinliche.
Virgil ging zurück.
Er schuf Platz für Jane Collins, die dies auch ausnutzte. »Gehen wir!« sagte sie mit hart klingender Stimme. »Macumbas Totenhöhle wartet. Ich will sie endlich kennenlernen.«
Damit hatte Jane Collins die Führung übernommen. Aus dem Opfer war der Jäger geworden…
***
Die Studios, auf die es uns ankam, lagen außerhalb von London in einem riesigen, eingezäunten Gelände, zu dem es mehrere Zufahrten gab. Welche für uns die richtige sein würde, das war so leicht nicht herauszufinden. Aber uns fiel etwas auf.
Normalerweise ist die Gegend um die Studios in der Nacht ziemlich ruhig. Das hatte sich nun geändert. Uns beiden fiel der Autoverkehr auf, und Suko, der auf dem Beifahrersitz saß, bemerkte treffend: »Die haben das gleiche Ziel wie wir.«
»Ist mir auch aufgefallen. Hast du erkennen können, wer in den Fahrzeugen saß?«
»Männer und Frauen. Ziemlich gemischt.
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