0516 - Im Netz der Mörderspinne
ihn in die Gegenwart geholt und es dem Meister des Übersinnlichen selbst überlassen, sich anschließend um die Rettung seiner Gefährtin zu kümmern. Er hoffte ebenfalls, daß er mit seiner modernen Kleidung in der Vergangenheit nicht zu sehr auffiel.
Raffael Bois hatte mitgedacht. Er schleppte eine alte Lederjacke Zamorras an, die Ted überstreifte. Die Armbanduhr mit der Digitalanzeige mußte Zurückbleiben. Hemd und Hose würden wohl nicht so schnell als nicht in die Zeit passend erkannt werden.
»So, wie war das noch - um den Finger drehen und dabei Merlins Machtspruch rezitieren?«
»Und das Ganze dreimal«, bestätigte Raffael.
»Hoffentlich erinnere ich mich noch an die Zauberworte«, sagte Ted.
»Ich sage sie Ihnen vor«, bot Raffael an, und Ted sprach ihm nach. »Anal’h natrac’h - ut vas bethat - doc’h nyell yenn vvé… anal’h natrac’h - ut vas bethat - doc’h nyell yenn vvé…«
***
Das Wanderlager brannte, und sie waren alle tot. Fast die Hälfte der Römer waren gefallen oder schwer verwundet. Die Zelte aus Stoff oder Leder waren niedergebrannt, die Reste der Wagen standen noch in Flammen. Zwischen ihnen lagen die letzten Kelten-Krieger.
Als sie sahen, daß ihr Kampf verloren war, waren sie zurückgekehrt, hatten ihre Familien getötet und dann sich selbst. Überall lagen ihre Leichen; einige wurden von den Flammen erfaßt und verbrannten.
»Kriegsgott Mars wird mit uns sein«, hatte Marcus Remigius gesagt.
Aber der Gott hatte ihnen nicht nur geholfen, die Helvetier zu schlagen. Er hatte auch gezeigt, daß er viele römische Legionäre so sehr liebte, daß er sie zu sich holte. Unter ihnen auch Marcus Remigius.
Caesar brauchte ihn für seine Verdienste nicht mehr zu beschenken. Remus Tiberius beweinte seinen Freund aus Kindertagen. Er hatte eine steile Karriere in der Legion angestrebt und war gefallen. Remus war mit dem einfachsten Rang zufrieden gewesen und lebte noch.
Der kleine schwarze Gnom war spurlos verschwunden. Remus fand ihn nicht mehr.
Der Waldbrand verlosch nach einer Weile von selbst, auf ebenso unnatürliche Weise, wie er aufgeflammt war. Einmal, als Remus bei seinem Gang durch das tote Lager auf den Druiden Caxatos stieß, der von einem römischen Speer durchbohrt worden war, glaubte er, über dem Wald im Rauch ein Gesicht zu sehen - ein Gesicht, das verblüffend dem dieses toten Druiden glich. Aber das war sicher ein Irrtum, wie auch, daß er den Toten plötzlich das Wort »Esus« flüstern zu hören glaubte.
Später behauptete Caesar, die Römer hätten versucht, ein nur fünfzehn Meilen entfernt liegendes gallisches Dorf vor einem räuberischen Angriff der einwandernden Helvetier zu schützen, und dabei sei es zu diesem Kampf gekommen. Wer konnte ihm schon das Gegenteil beweisen? Diesen und ähnliche Vorfälle nutzte er als Vorwand, den Helvetiern bei Bibracte eine blutige Vernichtungsschlacht aufzuzwingen, an deren Ende die Überlebenden in die heutige Schweiz zurückkehrten. Julius Caesar hatte aber wieder einen Teil Galliens »befriedet« -und konnte sich die Taschen füllen.
Das Rad der Geschichte drehte sich weiter.
***
Der Gnom schüttelte sich. Im ersten Moment glaubte er, von einem Augenblick zum anderen blind geworden zu sein. Doch dann stellte er fest, daß er sehen konnte. Es war Nacht!
Über ihm waren Mond und Sterne. Er befand sich auf einer Waldlichtung. Wo war das Lager der Kelten geblieben, wo die Römer, wo Don Cristofero, der Professor und die Mademoiselle, die ihn ihren Freund nannte?
Es hatte eine neuerliche Zeitversetzung gegeben. Und wieder war er allein, wie beim ersten Mal, als er in der Nähe der römischen Befestigung aufgetaucht war. Wo befanden sich die anderen? Waren sie im Lager verblieben? Oder waren sie mitgezogen worden und nur wieder an einem anderen Ort angekommen?
»Aber ich habe doch gar nichts getan!« stöhnte er auf.
Sicher - er hatte zu zaubern versucht. Er hatte einen Schutzkreis um einen Teil des Lagers ziehen wollen, damit die Römer nicht hereinkonnten. Aber er hatte ihn nicht einmal vollenden können. Seine Magie war auch nicht ansatzweise zum Tragen gekommen.
Er sah einen schmalen Weg vor sich, der von der Lichtung weg führte. Er folgte dem Pfad und erreichte eine Straße.
Eine befestigte Straße. Sie sah nicht so aus wie die Straßen des 20. Jahrhunderts, aber auch nicht wie eine aus der Römerzeit.
Und sie sah auch nicht so aus, wie Straßen im 17. Jahrhundert ausgesehen hatten.
Also wieder ein
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