0517 - Zitadelle des Todes
und Nicoles. »Zufällig habe ich auf diesem Foto Zamorra entdeckt. Die Dokumentation der dazugehörigen Ereignisse läßt uns das Schlimmste befürchten. Sie müssen die angepeilte Zeit verfehlt haben und in die Kriegswirren geraten sein. Herr Ewigk hat versucht, mit Zamorras Zeitring in die Vergangenheit zu gelangen, aber es funktionierte bei ihm nicht.«
»Ach ja«, sagte Amos. Er schaltete das Gerät wieder aus und gab die Diskette zurück. »Und jetzt erwarten Sie von mir, daß ich einen Trip in die Vergangenheit unternehme und Zamorra rette.«
Patricia nickte. »Sie, Mister Amos, oder Merlin. Aber Merlin können wir nicht erreichen.«
Sid Amos nickte langsam. Er sah dem Getränk entgegen, das Mostache ihm servierte, schnupperte daran und trank dann in kleinen Schlucken.
»Die Idee ist, muß ich gestehen, nicht eine der sieben dümmsten«, sagte er. »Aber ich werde nicht in die Vergangenheit gehen.«
»Warum nicht?« entfuhr es Patricia. »Verzeihen Sie - aber fühlen Sie sich dazu nicht befähigt? Sie sind Merlins Bruder. Merlin hat die Zeitringe gefertigt. Sie könnten es schaffen.«
Sid Amos zuckte mit den Schultern.
»Schon möglich«, sagte er. »Ich halte es sogar für ziemlich wahrscheinlich. Aber sehen Sie - ich habe einfach keine Lust.«
Er leerte das Glas und ließ es zur Theke zurückschweben, wo es vor dem verdutzten Mostache landete. »Ich glaube, mein Bester, ich sollte Ihnen mal eines von meinen Rezepten verraten. Das Zeug hier ist doch viel zu lasch.«
Er wandte sich wieder den beiden anderen zu.
»Ich habe keine Lust, meine Kraft dafür zu verschwenden«, sagte er. »Es ist ja ohnehin vergebliche Mühe. War das alles, weshalb Sie mich hergebeten haben? Dann kann ich ja wieder nach El Paso zurück. Ich habe Wichtigeres zu tun, als Zamorra auf dem Schlachtfeld zu besuchen.«
***
Sie zerrten den nächsten Verurteilten vom Karren. Die Menge applaudierte und johlte. Der Henker nahm den Kopf des soeben Hingerichteten aus dem Fangkorb und hielt ihn mit beiden Händen empor, zeigte ihn dem begeisterten Publikum. Menschen, die ihr ganzes bisheriges Leben unter der Knechtschaft des Adels dahinvegetiert hatten und denen man nun sagte, sie seien frei und könnten über sich selbst bestimmen. Sie seien jetzt alle Bürger, seien alle gleich. »Wenn wir alle gleich sind«, brummte Pierre Garroix sarkastisch, »dann müßten sie uns eigentlich auch alle gleichermaßen aufs Schafott schicken. Oder sind wir vielleicht doch nicht alle gleich, eh?«
»Zumindest sind wir nicht alle gleich kopflos, Bürger«, sagte René Macaire. »Drängt es dich zu sterben? Klage dich selbst an! Die Jakobiner werden dir nur zu gern glauben. Es stirbt sich schnell in diesen Tagen.«
Er sah wieder zum Blutgerüst hinüber. Der Kopf des letzten Opfers lag jetzt bei den anderen. Zwei Henkersknechte wuchteten den Körper vom Kippbrett und schafften ihn zur Seite, während der nächste Delinquent die Stufen hinaufgeführt wurde. Derweil fingen zwei geschäftstüchtige Frauen Blut auf, um es später zu verkaufen. Auch Kleidungsreste oder gar Leichenteile wie zum Beispiel Finger und Ohren fanden reißenden Absatz. Die Leute rissen sich um diese makabren »Souvenirs«. Die Hinrichtungen wurden allmählich zur Volksbelustigung. Und sie wurden immer zahlreicher. Ein halbes Hundert pro Tag waren schon keine Seltenheit mehr. Wurden weniger als zwanzig Hinrichtungen angekündigt, murrten die Zuschauer -da lohnte es sich schon kaum noch, hinzugehen. Schließlich gab es ja ständig Nachschub an Todeskandidaten. Die Jakobiner räumten gründlich mit ihren politischen Gegner auf - und neuerdings auch in ihren eigenen Reihen, wie man munkelte. Macaire hatte recht, überlegte Garroix: Es starb sich schnell in diesen Tagen. Die Urteilsverkündung war für die Richter mittlerweile zu einer Routineübung geworden.
Das Brett war wieder hochgeklappt. Der Mann, den sie dagegenstellten, wehrte sich. Trotz seiner Fesseln versuchte er noch, sich loszureißen, trat um sich und schlug mit Kopf und Oberkörper nach dem Scharfrichter und seinen Helfern. Aber es nützte ihm nichts. Er wurde festgeschnallt, das Brett kippte wieder in die Waagerechte. Ein Knecht legte den Halsblock an. Das Johlen des ob dieses Schauspiels begeisterten Publikums übertönte die Schreie des Opfers, die abrupt endeten, als das Fallbeil einmal mehr niedersauste.
Pierre Garroix sah die Männer und Frauen um ihn herum nachdenklich an. Ganz vorn reckten Frauen ihre Kinder
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