0517 - Zitadelle des Todes
Stirn umwölkte sich. Mit der ihm eigenen, fast unglaublichen Schnelligkeit zog er den Degen und setzte die Spitze dem Scharfrichter an den Hals.
»Ich kann mich nicht erinnern, Ihm die Erlaubnis zu einer solch despektierlichen Anrede erteilt zu haben«, sagte er schneidend. »Also befleißige Er sich fortan eines sittsameren Tones, Kerl! Er weiß wohl nicht, wen er vor sich hat?«
»O Herr, schmeiß Hirn vom Himmel«, murmelte Zamorra entsetzt. »Und triff damit diesen Narren…« Begriff Cristofero nicht, daß er sich um Kopf und Kragen redete? Allein seine auffällige Kleidung war schon verdächtig. Sein Auftreten war noch viel schlimmer.
Der Scharfrichter wollte vorsichtig die Hand heben, um die Degenspitze von seinem Kehlkopf zu entfernen. Im gleichen Moment versuchten die beiden Henkersknechte sich auf den Fremden zu stürzen. Aber sie waren nicht die ersten, die den rundlichen Spanier unterschätzten. So großmäulig er auftrat, so gut wußte er sich seiner Haut zu wehren. Er mußte ihre Schatten gesehen haben. Blitzschnell duckte er sich, kreiselte herum und ließ den ersten mit dem Kopf gegen seine Faust laufen. Dem zweiten warf er sich gegen die Beine, daß der Mann über ihn stürzte. Cristofero kam schneller wieder hoch, und als der Mann sich aufrichten wollte, erwischte Cristofero ihn mit dem Degengriff. Dann wandte er sich wieder dem Scharfrichter zu.
»Niemand berührt mich ohne meine Erlaubnis«, sagte er vernehmlich. »Überdies schätze ich derlei Unfreundlichkeiten überhaupt nicht. Ich denke, Er wird nun vor mir her schreiten und dafür sorgen, daß ich diesen Platz verlassen kann, ohne von der stinkenden Menge behelligt zu werden.«
»Da denkst du verdammt falsch, Bürger«, sagte der Scharfrichter. »Du mußt verrückt sein. Ich habe schon Selbstmörder gesehen, die sich nicht so verrückt in Szene gesetzt haben wie du.«
Cristofero versetzte ihm eine schallende Ohrfeige. »Hat Er sich Bohnen in die Ohren gestopft, Kerl? Habe ich ihm nicht gesagt, Er möge respektvoller reden?« Er entdeckte Uniformen in der ersten Reihe der Zuschauer vor dem Blutgerüst. »Soldaten!« schrie er. »Man nehme diesen Lümmel fest!«
»O nein«, murmelte Zamorra. »Der ist nicht nur irre. Der ist ja ganz irre!«
Als hätten die Soldaten nur darauf gewartet, stürmten sie jetzt auf das Podium. Sie nahmen den Lümmel fest.
Zamorra hatte Don Cristofero nie zuvor so entgeistert gesehen wie in diesem Augenblick.
»Loslassen!« zeterte er. »Auf der Stelle loslassen! Wollt ihr wohl gehorchen, hirnloses Lumpenpack? Euer Offizier wird euch das dreckige Fell über die Ohren ziehen! Den da sollt ihr festnehmen! Habt ihr den Verstand verloren? Elendes Gesindel! Ich sagte: loslassen! Ich bin Don Cristofero Fuego del Zamora y Montego, Berater Seiner Majestät des Königs…«
Na klasse, dachte Zamorra. Genau das hat er noch hinausposaunen müssen.
Aber Don Cristofero hatte schon immer ein sagenhaftes Talent entwickelt, sich in Schwierigkeiten zu bringen.
Und andere konnten ihn dann wieder aus der Bredouille holen.
Binnen weniger Augenblicke war er Zamorras Blicken entschwunden. Der Professor hörte ihn auch nicht mehr. Offenbar hatte man Cristofero mit Gewalt den Mund gestopft.
Auf dem Blutgerüst hob der Scharfrichter die Hand. »Nach diesem gewiß unterhaltsamen Zwischenspiel«, bemerkte er launig, »können wir jetzt vielleicht endlich mit der Arbeit weitermachen… holt den nächsten!«
Und das Sterben nahm seinen Fortgang.
***
»Sie waren dort?« echote Patricia. »Aber…«
Sid Amos grinste. »Natürlich. Ich erinnere mich genau. Ich war damals ganz in der Nähe. Ich suchte jemanden. Schließlich gibt es ein paar Dinge, die man nicht seinen Untergebenen überlassen kann.«
»Damals…?«
Amos nickte. »Nein, ich habe keine Zeitreise unternommen, ich war als Teil meiner Zeit dort. Ich verfehlte den, den ich suchte, knapp, aber ich fand ihn dann etwas später.« Er schloß die Augen. »Erst vor ein paar Wochen bin ich ihm wieder begegnet, nicht weit von jenem Ort entfernt. Der Lachende Tod…«
Patricia erschauerte. Sie kannte Teri Rhekens Erzählung über dieses unheimliche, dämonische Wesen.
»Der… dieses Monstrum… dieses moderne Ungeheuer war damals…?«
»Ja«, sagte Amos. »Aber für den alten Knaben interessieren Sie sich doch nicht ernsthaft? Der besteht doch nur aus Herz und Knochen. Außerdem will er sich nicht unterordnen. Nun, wir haben von Zamorra geredet. Ich kann Ihnen versichern,
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