0518 - Der Vampir von Versailles
beschloß, sich der seltsamen Angelegenheit anzunehmen.
***
Renard Morillon kam es seltsam vor, daß Rebecca ihn schon wieder fortschickte. Noch vor wenigen Tagen hätte sie nicht im Traum daran gedacht. Sie war glücklich gewesen in seiner Gesellschaft. Und nun diese schon beleidigende Zurückweisung! Und das, nachdem er sie gebeten hatte, ihn zu heiraten!
Es konnte ihr doch nichts Besseres passieren. Auf einen Edelmann brauchte sie nicht zu hoffen, war sie doch nur ein einfaches Mädchen, eine Zofe. Mit so etwas amüsierten die hohen Herren sich höchstens für ein oder zwei Nächte.
Aber jetzt dieses abweisende Verhalten?
Da war doch etwas faul! Sollte etwa ein anderer Mann dahinterstecken?
Wenn, dann wollte er es wissen. Er wollte sich nicht einfach abschieben lassen, sondern Rebecca beweisen können, daß er besser war als jeder andere. Schließlich liebte er sie und wollte sie nicht verlieren. Aber sie mußte auch ehrlich zu ihm sein. Wenn sie ihm offen gestand, daß sie sich in einen anderen verliebt hatte, dann konnte er entsprechend reagieren. Aber diesem Unsichtbaren, dieser unbegründeten Ablehnung gegenüber war er hilflos.
Er war draußen unter ihrem Fenster auf und ab gegangen, hatte nachgedacht und war zu keinem Ergebnis gekommen. Er konnte sie doch nicht mit Gewalt zwingen, ihm die Wahrheit zu gestehen. Das lag ihm nicht. Sie mußte von selbst kommen und ihm erklären, was sie empfand, was mit ihr los war.
Plötzlich war da dieses Flatterwesen am Himmel. Er erkannte es erst, als es bereits vor dem Fenster schwebte - vor ihrem Fenster!
Er war fassungslos. Die Umrisse des Wesens wurden unscharf, und dann glitt es durch das offene Fenster ins Zimmer…
Für Augenblicke vermutete Renard, Opfer einer Sinnestäuschung zu sein. Dann aber begann er zu laufen.
Was auch immer es war, was durchs Fenster in Rebeccas Zimmer geflogen war - es war gefährlich.
Er spürte die düstere Aura, die von diesem Geschöpf ausging, fast körperlich, und er rannte zum nächsten Eingang. Er mußte Rebecca helfen.
***
Nicolas le Roumain glitt ins Zimmer und nahm Gestalt an. »Komm«, flüsterte Rebecca Deveraux ihm zu. »Komm zu mir. Ich will dich spüren.«
Er sah ihre aufregende Blässe.
»Du bist mein«, raunte er. »Nach dieser Nacht wirst du so sein wie ich.«
Sie sagte nichts, sah ihn nur aus halb geschlossenen Augen erwartungsvoll an. Er ließ sich neben ihr auf der Bettkante nieder und schlug den Mantel zurück. Seine Finger mit den überlangen Nägeln strichen oft über ihr Gesicht, ohne sie zu verletzen. Rebecca erschauderte unter der Berührung.
»Zögere nicht«, hauchte sie.
»Du wirst die Sonne verfluchen«, sagte er. »Du wirst die Nacht lieben und die Gefährtin des Mondes werden. Du wirst mit den Schwingen der Nacht der Fährte des Blutes folgen. Du wirst mich lieben und deinen Durst stillen, indem du die Kinder des Tages jagst und von ihrem Leben trinkst. Freu dich darauf, denn ich schenke dir das ewige Leben.«
Sie lächelte und wiederholte sehnsüchtg: »Zögere nicht!«
Er beugte sich über sie, und zum dritten Mal senkte er seine Vampirzähne in ihren Hals.
***
Nicole folgte dem Mann ins Haus. Sie sah ihn nicht mehr, aber sie hatte sich die Position des Fensters gemerkt und traute sich zu, das Zimmer wiederzufinden. Sie eilte die Treppen hinauf. Sie war überrascht, wieviel Menschen noch um diese Stunde auf Treppen und in Korridoren unterwegs waren.
Kurz zögerte sie, dann wandte sie sich nach rechts und in einen Querkorridor. Da sah sie den Mann wieder, den sie eben schattenhaft vor dem Gebäude beobachtet hatte. Er hämmerte mit den Fäusten gegen eine Zimmertür.
»Rebecca!« hörte sie ihn rufen. »Mach auf! Hörst du? Du sollst aufmachen!«
Verärgert über den Lärm, trat ein älterer Mann aus einem der gegenüberliegenden Zimmer auf den Korridor. »Werter Chevalier«, sagte er laut und stirnrunzelnd, »so Ihr Eure Liebeslust nicht bezähmen könnt, tretet in Gottes Namen die verdammte Türe ein, doch laßt ab, weiter solch unheiligen Lärm zu erzeugen!«
»Haltet Ihr Euch da ’raus!« stieß der junge Mann hervor, »und habt Dank für Euren guten Rat.« Er trat einen Schritt zurück - und warf sich tatsächlich gegen die Tür.
Nicole eilte näher. Sie versuchte, so schnell und unauffällig zu sein, wie es nur eben ging. Sie hatte das dumpfe Gefühl, daß im Zimmer eine Gefahr lauerte, die der junge Mann völlig unterschätzte. Dieses unheimliche fliegende Etwas… war es
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