0519 - Das Auge von Atlantis
wischte Regenwasser aus seinem Gesicht. »Das Gefühl, Sir, habe ich mittlerweile auch.«
»Wir werden also mit unserem Freund weiterhin rechnen müssen.« Der Superintendent lachte freudlos. »Manchmal gibt es Kelche, die nie an einem vorübergehen, auch wenn noch so viele Jahre verstreichen.«
»Wir werden ihn suchen müssen«, sagte Suko.
»Und wo, bitte?«
Der Inspektor schaute zu Boden, wo eine Pfütze glänzte wie angestrichen. »Sir, ich möchte Ihnen keine Furcht einjagen, aber ich kann mir vorstellen, daß Sie bei Ihrem Termin ungebetenen Besuch bekommen würden. Wie gesagt, Willy ist da nicht wählerisch. Der killt wahllos.«
»Ich kann ihnen nicht absagen!«
»Es geht um Leben und Tod.«
»Klar. Nur erwartet mich der Innenminister zu dieser geheimen Konferenz. Wir sind dabei, Dinge festzulegen, die für die Zukunft weitreichende Bedeutung haben werden. Davon können auch Sie und John Sinclair betroffen sein. Es geht um die Koordinierung mit den östlichen Staaten. Glasnost schlägt allmählich durch.«
»Dann müssen Sie es eben riskieren, Sir. Vielleicht ist es Ihnen auch möglich, die anderen Teilnehmer davon zu überzeugen, daß Sie einen Leibwächter direkt in Ihrer unmittelbaren Nähe benötigen.«
Sir James stieg wieder ein. Er nahm den Hut ab und kippte Wasser vom Krempenrand. »Das wird kaum möglich sein. Es ist eine verdammt geheime Konferenz. Die Mitglieder dort werden mir wer weiß was erzählen, wenn ich nicht allein komme.«
»Sir, es geht um Ihr Leben.«
Der Superintendent warf Suko, der ebenfalls eingestiegen war, einen langen Blick zu. »Ich weiß, Inspektor, ich weiß es nur zu genau. Das ist auch alles nicht einfach.«
Der Chinese hämmerte die Tür zu. »Haben Sie sich zu einer Möglichkeit entschlossen?«
»Ja. Fahren Sie weiter. Ich werde Ihnen Bescheid geben, wenn wir das Ziel erreicht haben.«
»Natürlich, Sir.«
Wohl war Suko nicht dabei. Der Druck hatte wieder zugenommen.
Ein Killer, der kein Pardon kannte und sie noch verhöhnte, saß ihnen im Nacken. Er war wie ein Phantom, erschien aus dem Nichts, verschwand und ließ eine blutige Spur zurück. Der Regen verstärkte sich wieder. Das Nieseln hörte auf. Dafür lief er jetzt in langen, nie abreißenden Bindfäden aus den tiefhängenden Wolken. Obwohl offiziell die Dämmerung noch nicht hereingebrochen war, schien es Abend zu sein. An manchen Stellen hingen die Wolken so tief, daß sie wie skurrile Nebelgebilde über die nasse Fahrbahn strichen.
Daß Sir James einen innerlichen Kampf mit sich ausfocht, sah Suko ihm an. Der Superintendent gab sich längst nicht so beherrscht wie immer. Oftmals zuckten seine Wangenmuskeln, er rückte mehr als gewöhnlich an der Brille und bat Suko, etwas langsamer zu fahren.
»Sind Sie noch zu keinem Entschluß gekommen, Sir?«
»Nein.«
»Viel Zeit können wir uns nicht lassen.«
»Das weiß ich, Suko. Nur kann ich den Leuten nicht mit meinen Problemen kommen.«
»Wenn Willy erscheint, ist es zu spät.«
»Sicher.« Sir James räusperte sich. »Sie haben doch auch das blaue Licht gesehen, bevor er erschien?«
»Ja.«
»War es ein Auge?«
»Nein. Ich sah nur den Schein kurz aufflackern, dann prallten wir mit dem Killer zusammen.«
»So habe ich es ebenfalls in Erinnerung.« Sir James hob den Arm und deutete gegen die Frontscheibe. »Hinter der nächsten Rechtskurve beginnt der Wald. Ihn müssen wir ungefähr bis zur Hälfte durchfahren, dann haben wir das Ziel erreicht.«
Im Scheinwerferteppich glitzerten die Regenfäden. Die Sicht verschlechterte sich noch mehr, weil der Wald an der rechten Seite zusätzlich wie eine Schattenwand wirkte.
Dann passierte es doch.
Gerechnet hatte Suko schon damit. Dennoch überraschte ihn die plötzliche Attacke.
Es geschah am Heck. Er hörte einen dumpfen Aufprall, danach ein Platzen und gleichzeitig das gierige Lachen.
Suko ging runter vom Gas. Er und Sir James drehten sich gleichzeitig auf den Sitzen.
Durch die zerstörte Heckscheibe wehte der Wind, peitschen kleine Regentropfen. Das alles war nicht tragisch. Viel schlimmer war die Gestalt, die sich mit beiden Händen festklammerte. Die eine Hand hatte Willy in das hintere Polster der Rückenlehne geschlagen, die andere hielt den Rahmen fest.
Es lag auf der Hand, daß er nicht gekommen war, um eine Spazierfahrt zu machen…
***
Ein völlig anderes Wetter als in London herrscht in der Welt, in die mich das Auge hineingeholt hatte. In eine Vergangenheit des Kontinents Atlantis,
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