053 - Der Gast aus dem Totenreich
Freund.«
Dorian lief ein kalter Schauer über den Rücken. Da hatte er die vollständige Erklärung. Der Untote hatte sich die Mädchen geholt. Auch Sergio Venturini hatte er umgebracht, und die Journalistin Claudia Marino lag ebenfalls auf dem Grund des Teiches.
Laura Bertini hatte dank schwarzer Magie ein Jahr lang vorgetäuscht, ihr Mann sei noch am Leben und reise um die Erde.
Der Dämonenkiller holte das hölzerne Kruzifix hervor.
»Schmeiß es weg!«, rief die Bertini mit schriller Stimme. »Es hilft dir nicht.«
Die mit Algen und Froschlaich überzogene Wasseroberfläche begann plötzlich zu brodeln. Es zischte und gluckste, und dann tauchte ein Kopf auf – der grauenhafte Schädel des Untoten. Marco Bertini trug die Gummimaske, die seine einstigen Züge täuschend echt wiedergab und sein grauenhaftes Äußeres verhüllte. Drohend glotzte er Dorian an und öffnete den Mund zu einem gutturalen Laut.
»Jetzt wirst du ausgesaugt, Dorian Hunter«, schrie die Bertini. »Dein Leib wird in den Teich geworfen.« Sie trat ganz an den Teichrand aus rotem römischem Travertin und beugte sich zu dem Untoten hinab: »Los, pack ihn! Besorge es ihm! Du brauchst lebenswarmes Blut. Hole es dir! Reiß ihm das Gehirn heraus!«
Der Untote stieg langsam aus dem Wasser und breitete die Arme aus.
Dorian hob das Kruzifix. »Zurück!«
Der Untote heulte schaurig und duckte sich, aber er kam trotzdem näher. Sein Körper war von einem schwarzen Umhang weitgehend verhüllt, aber vorn stand er offen, und Dorian konnte sehen, dass die Auflösung schon sehr weit fortgeschritten war. Verwesungsgeruch stieg ihm in die Nase.
Der Drang, sich aufzufrischen, war in diesem Augenblick stärker als die Macht, die von dem Kruzifix ausging. Der Untote sprang vor.
Dorian konnte ihm gerade noch das Kruzifix auf den scheußlichen Schädel pressen. Klagend ging das Wesen zu Boden, kam aber gleich wieder hoch und sperrte ihm den Rückweg durch den Park ab.
Ein Blitz fuhr nicht weit entfernt in einen Baum. Es gab einen Knall, dem Donnergrollen folgte.
Dorian drehte sich um und lief ins Haus zurück. Er hoffte, den Untoten in dem Gewirr von Räumen und Gängen abhängen zu können.
Die Bertini lachte irre, als sich der Untote ebenfalls in Bewegung setzte und Dorian folgte.
Der Dämonenkiller rannte durchs Foyer, kam in den Salon, lief weiter ins Musikzimmer, blickte sich um. Er fand nicht, was er suchte, und musste hinüber in den kleinen Vortragssaal. Hier entdeckte er die Amati mit dem Bogen. Er legte beides auf der Schwelle der Verbindungstür ab, dann setzte er seine Flucht durch die Villa fort.
Der Untote kam polternd heran. Dorian konnte ihn knurren hören. Plötzlich aber verstummte er. Es verstrichen ein paar Sekunden. Dann wimmerte die Violine.
Der Trick hatte gezogen. Dorian hatte Zeit gewonnen. Aber was das Wesen aus dem Teich da produzierte, hatte nichts mehr mit dem virtuosen Spiel vom Vorabend gemein. Nur ein jämmerliches Gejaule ertönte. Keine Note wurde richtig angestimmt. Der Maestro musste sich erst wieder mit Leben vollsaugen, um sein Genie voll entfalten zu können. Er brauchte ein Opfer. Wenn er ihm den Schädel einschlug und sein Gehirn auslutschte, regenerierten sowohl sein Leib als auch sein Geist.
Dorian schlich durch die Villa. Die Violine jaulte entsetzlich. Aber das Geheule war ihm im Moment immer noch lieber als ein Angriff des Untoten. Bertini war viel zu sehr in Rage, um durch das Kruzifix aufgehalten werden zu können. Und andere Dämonenbanner hatte Dorian nicht bei sich – außer der gnostischen Gemme, von der er sich auch nicht viel versprach. Welche Möglichkeiten blieben ihm also? Er wollte nicht wieder aus der Villa flüchten. Dieses Mal durfte er sich keine Blöße geben. Sonst gelangten die Bertini und das von ihr geschaffene Ungeheuer zu der Ansicht, dass er leicht besiegbar war. Er musste dem Untoten trotzen. Aber wie?
Natürlich konnte er sich eine der Kerzen nehmen und die Vorhänge oder den Teppich in Brand stecken. Dämonen und alle anderen Kreaturen der Nacht schreckten vor Feuer zurück. Aber die Möglichkeit, dass sich der Untote in den Teich flüchtete, war zu groß. Und wie sollte Dorian ihn aus dem Wasser bekommen? Man würde es absaugen müssen, und dazu brauchte er Helfer und Maschinen.
Nein, er musste einen anderen Weg finden.
Er schaute sich um. In diesem Zimmer war er noch nie gewesen. Es lag hinter dem Salon und dem kleinen Vortragssaal. Zwei schwarze Kerzen brannten. An den
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