0552 - Gefangene der bösen Träume
nicht angelogen. Warum jedoch war er dann so ablehnend und nicht eine Sekunde lang bereit, mit ihr über dieses Thema zu reden?
Daß sie es vielleicht falsch angefaßt haben könnte, darauf kam sie nicht.
Sie pflückte sich die Kleidungsstücke vom Leib und stellte sich unter die Dusche. Noch zwei Stunden, dann fuhren sie zur City Hall und stimmten sich auf den heutigen Auftritt ein. Letzte Absprachen, was heute laufen würde, welche Varianten neu hinzukamen und andere ersetzten… Auf jeden Fall wollte sie den Trickfilm-Clip der Prinzessin diesmal durch ihren eigenen »Auftritt« ersetzen. Auch wenn das mit dem Troll mangels Technik nicht so klappen würde, wie sie es sich für später einmal vorstellte.
Während sie sich abfrottierte, überlegte sie, daß sie, wenn sie unter dem durchsichtigen Schleiergewand nackt auftreten wollte, ihr »normales« Bühnen-Outfit nicht übertreiben durfte. Im Stück davor hatte sie ebenfalls einen Gesangspart; zwischen den beiden Liedern lagen nur die wenigen Augenblicke, in denen Bo als Zauberer über die Bühne stelzte und einen verbindenden Text sprach. In dieser kurzen Zeitspanne mußte sie sich ausziehen und in die Schleier schlüpfen. Also sollte sie vorher so wenig wie möglich am Leibe tragen.
Sie hatte sich noch nicht ganz entschieden, als sie die Bewegung am Fenster sah.
Da draußen war etwas!
Und raste schwungvoll durchs Glas ins Zimmer herein, um sich auf Sabella zu stürzen…
***
Der junge Mann fuhr herum und starrte Zamorra an.
»Wie… wie sind Sie hier hereingekommen?«
»Die Tür war angelehnt. Falls Sie Bo sind, wollte ich zu Ihnen.«
Er hatte das Gefühl, den Mann schon einmal gesehen zu haben, konnte ihn aber nicht auf Anhieb einordnen.
Bos Augen aber weiteten sich.
»Zamorra!« stieß er hervor. »Sie sind der Professor! Der Parapsychologe!«
Zamorra nickte. »Woher kennen wir uns, Bo?«
Der Songtexter wich zurück und ließ sich auf seinen Stuhl sinken. »Also habe ich mich doch nicht geirrt! Warum sind Sie hier, Professor? Das ist doch kein Zufall!«
»Woher kennen wir uns?« wiederholte Zamorra seine Frage.
»Von der Sorbonne«, murmelte Bo. »Ich war in Ihrer Gastvorlesung, vor einiger Zeit.«
»In Frankreich? Etwas ungewöhnlich, nicht wahr?«
»Kaum ungewöhnlicher als ein französischer Professor in Wales!« entfuhr es dem Songtexter. »Entschuldigen Sie, aber ich hatte gehofft, meine Studentenzeit endgültig hinter mir gelassen zu haben. Und jetzt tauchen ausgerechnet Sie hier auf.«
»Ausgerechnet? Wie darf ich das verstehen?«
»Ich soll in meiner Examensarbeit aus einem Ihrer Bücher abgeschrieben haben! - All right, Professor, das ist vorbei, ich habe keinen Ehrgeiz mehr in dieser Sache.«
Zamorra durchzuckte eine Erinnerung. »Sie wollten bei Professor Bellemont examinieren, nicht wahr? Bo… Vinerich? Der sind Sie?«
»Ich muß ja traurige Berühmtheit erlangt haben, daß sogar Sie meinen Namen kennen. Sie waren doch nur Gastdozent.«
Zamorra lächelte. »Ich habe Ihre abgelehnte Examensarbeit vor ein paar Monaten gelesen«, gestand er. »Professor Bellemont war so freundlich, mir eine Kopie aufzudrängen. Ganze dreihundert Seiten, von denen zumindest die ersten zweihundert vollständig auf Ihrem Mist gewachsen sind. Bei den folgenden Passagen nehme ich mal an, daß Sie nur im Eifer des Gefechtes vergessen haben, Quellenangaben zu machen.« [4]
»Bellemont formulierte das etwas krasser. Aber wenn er sagt, daß ich bei Ihnen abgeschrieben habe, wird das wohl auch stimmen.«
»Sie geben sich zu schnell geschlagen.« Zamorra wunderte sich ein wenig, daß Vinerich die goldene Brücke nicht betreten wollte, die er ihm baute. »Mich freut es sogar, daß sich jemand an meine Theorien erinnert und auf diese Weise wieder einmal darauf aufmerksam macht. Und noch mehr freut es mich, daß Sie dieses Werk überhaupt besitzen. Geträumter Lykanthropismus und andere Gestaltwandler-Phänomcne … Ist vor über zehn Jahren nur in einer sehr kleinen Auflage gedruckt worden, weil ausgerechnet an dieses Thema kein Verleger so richtig heranwollte. Und selbst in der Präsenzbibliothek der Sorbonne steht kein einziges Exemplar mehr. Ihre Arbeit über Traumwelten und Weltenträume geht zum Teil weit über meine eigenen Gedanken hinaus. Ich finde Ihre Fakten und Spekulationen sehr interessant, Bo.«
»Schön für Sie, Professor«, erwiderte Vinerich. »Aber für mich ändert sich dadurch nichts. Bellemont hat meine Arbeit abgelehnt, ich bin
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