0564 - Die Gräber seiner Ahnen
er war gestorben.
Auch ich stand auf, nachdem ich die Augen des Toten geschlossen hatte. Erschüttert umstanden wir die Leiche. Ich schloß die Haustür.
Im Lichtschein der Flurbeleuchtung sahen die Gesichter meiner Freunde blaß und kalkig aus. Wir hatten den Heiligen Abend als einen Tag des Friedens feiern wollen, und nun war dieses grauenvolle Ereignis dazwischengekommen. Ein brutaler Mord vor unseren Augen, den wir nicht hatten verhindern können. Der Schuß war gefallen und hatte sich als tödlich erwiesen.
Weihnachten, das Fest des Friedens, war für uns zu einem Horrortrip geworden.
Lady Sarah fand als erste die Sprache wieder. »Ich habe ihm zunächst nicht so recht glauben wollen«, murmelte sie, »doch nun sehe ich das anders. Habt auch ihr seine letzten Worte vernommen?«
Wir nickten.
»Dann ist der Mörder Abbé Bloch!«
»Das will ich nicht glauben«, flüsterte ich. »Verdammt, ich kann es ihm einfach nicht abnehmen.«
»Ich auch nicht«, murmelte Jane.
Die anderen nickten.
Glenda aber fragte: »Sollte sich ein Mensch in den letzten Sekunde seines Lebens derart geirrt haben?«
»Nein!«
Sie nickte mir zu. »Also muß er es doch getan haben.«
»Er sprach von einem alten Gesicht«, sagte Suko. »Das muß nicht der Abbé gewesen sein. Er hat nicht davon geredet, daß sich auf dem Gesicht eine dunkle Brille befand.«
»Das wird er vergessen haben«, meinte Jane.
»Kann ich mir auch vorstellen.«
Suko sprach Lady Sarah an, die die Antwort gegeben hatte. »Jedenfalls müssen wir dann einen Mörder suchen, dessen Namen wir alle kennen und der uns ein Freund geworden ist. Abbé Bloch.«
Suko schlug gegen seine Stirn. »Das will einfach nicht in meinen Schädel. Irgendwie habe ich das Gefühl, ins Leere zu tappen.«
»Frag mich mal.« Ich ging zum Telefon, um im Yard anzurufen.
Die Kollegen würden sich darüber freuen, am Heiligen Abend einen Toten abholen zu müssen. Leider konnte ich es nicht ändern.
Die Kugel hatte den Templer genau dort getroffen, wo das Herz sitzt. Sie mußte von einem Könner, einem Experten abgefeuert worden sein. War der Abbé ein guter Schütze?
Suko wußte, worüber ich nachdachte, weil er den gleichen Gedanken aussprach. »Ich habe den Abbé nie mit einer Waffe erlebt, John. Oder kannst du dich daran erinnern?«
»Nein.«
»Hat er sich doch geirrt?«
»Das hoffe ich.«
»Aber du glaubst es nicht.«
Ich nickte. »So ist es.«
»Wir fliegen nach Frankreich?«
»Natürlich. Ich werde gleich in Heathrow anrufen, wie es mit den Maschinen aussieht. Paris, dann Toulouse, wir kennen die Strecke ja. In Toulouse nehmen wir uns dann einen Leihwagen…«
»Und wenn der Killer sich noch in London aufhält?« Suko vermied es bewußt, den Namen des Abbé auszusprechen.
»Meinst du?«
Er hob die Schultern. »Wenn wir davon ausgehen, daß er so etwas wie ein Geist ist, kann er natürlich die Plätze wechseln, ohne daß ein Zeitverlust entsteht.«
Ich winkte ab. »Das ist mir jetzt zu kompliziert.« Draußen hielten zwei Wagen. Es waren die Kollegen vom Yard, die mit verbissen wirkenden Gesichtern ihre Fahrzeuge verließen und durch den Vorgarten auf die Haustür zuschritten.
»Ein Toter zum Fest, Sinclair. Sie ersparen uns auch nichts«, wurde ich angesprochen.
»Hören Sie auf! Auch mir ist das alles unangenehm. Haben Killer je auf das Weihnachtsfest Rücksicht genommen?«
»Nein«, erwiderte der alte Zyniker. »Sie wissen ja, daß wir Bereitschaft haben.« Danach gab er seinen Leuten die Anweisung, den Toten in die Wanne aus Kunststoff zu legen, während ich einen knappen Bericht des Vorgangs gab.
Der Kollege nickte. Ich hatte meine Worte auf Band gesprochen.
Sie würden später abgetippt und mir zur Unterschrift vorgelegt werden. Den berechtigten Fragen, die den Mörder angingen, konnten wir nur ausweichen, weil wir nichts dergleichen gesehen hatten.
Über de Gaches Entdeckung sagten wir natürlich nichts.
Ich zündete mir eine Zigarette an und betrat das Eßzimmer, wo der Tisch noch immer gedeckt war. Hinter der Fensterscheibe hatte de Gache das Gesicht schimmern sehen.
War es tatsächlich der Abbé gewesen oder eine Materialisation seines Kopfes. Dazu noch ohne Brille? Für mich war der Mann blind, und keine Macht der Welt konnte ihm je sein Augenlicht wieder zurückgeben. Keine Macht von dieser Welt.
Da wiederum begann ich nachzudenken. Ich wußte schließlich, daß es Kräfte genug gab, die wir mit unserem Verstand nicht begreifen konnten. Wenn jedoch
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