0575 - Vampir-Gespenster
herumschlug. Diese wiederum lauerten oft auf eine Chance, dem Yard-Mann eins auswischen zu können.
Das vor den Sinclairs liegende Sumpfgebiet hatte eine winterlich braune Farbe bekommen. Der Wind strich wie mit streichelnden Händen über das hohe Gras und kräuselte die Oberflächen manch kleiner Seen, die in dem Sumpfgebiet aussahen wie dunkle Augen.
Es war kein gefährliches Gelände im eigentlichen Sinne. Man konnte es durchwandern, ohne Angst haben zu müssen, irgendwann einzusinken. Sogar zwei Straßen führten durch den Sumpf.
Genau dort, wo sie sich kreuzten, hatte der unbekannte Anrufer die beiden Sinclairs hinbestellt. Sie waren mit dem Geländewagen gekommen, den Horace F. Sinclair fuhr. Der Range Rover mit seinem Allradantrieb hatte sich schon oft bezahlt gemacht, wenn es darum ging, steile und rutschige Strecken zu überwinden.
Mary Sinclair öffnete die Beifahrertür und holte eine Warmhaltekanne sowie zwei Tassen hervor.
»Was ist das denn?«
»Kaffee, Horace, ich habe dir Kaffee gekocht.«
»Dir nicht?«
»Natürlich auch.« Sie schenkte ein und fragte ihren Mann: »Wie lange willst du eigentlich hier warten?«
»Keine Ahnung.«
»Eine Zeit hat der Anrufer nicht gesagt?«
Horace F. Sinclair stellte die Tasse ab und schüttelte den Kopf.
»Nein, überhaupt nicht.«
»Ich begreife das nicht. Wir sind nicht ganz bei Trost. Stellen uns hier hin und warten darauf, daß etwas geschieht. Dabei hätte ich im Haus noch einiges zu tun.«
»Was denn?«
»Ich wollte mich um die Sommerpflanzen kümmern, die im Keller überwintern.«
Horace winkte ab. »Das hat doch Zeit.« Er klemmte die Tasse zwischen seine Handflächen und trank die heiße Flüssigkeit in kleinen Schlucken. Dabei umspielte ein Lächeln seine Lippen. Ihm machte es nichts aus, an dieser Kreuzung zuwarten, weil er das Gefühl nicht loswurde, bald wieder ein Abenteuer zu erleben. Sinclair gehörte zu den Menschen, die alles taten, die man durch vieles begeistern konnte, die nur nicht herumsitzen wollten und Däumchen drehten.
Mary schaute ihren Mann scharf an. »Wenn ich dich so sehe, und ich kenne dich lange genug, dann habe ich das Gefühl, daß du wieder etwas ausheckst, Horace.«
»Ich?«
»Tu nicht so unschuldig, alter Mann!«
»Also hör mal. Alter Mann ist etwas übertrieben.«
»Jung bist du auch nicht mehr.«
»Das stimmt.«
»Deshalb solltest du dich nicht übernehmen. Es geht nicht immer so glatt wie vor einigen Monaten, als du diesen Zwerg hast stellen können.«
»Da war ich schneller als unser Herr Sohn.«
Sie streichelte seine Wangen. »Zufall, Horace, der reine Zufall.«
»Gib mir noch einen Schluck.«
Die Kanne stand neben Mary. Über dem Tassenrand breiteten sich die Dampfschwaden aus und stiegen als feine Nebel gegen das Gesicht des Anwalts. Er drehte sich von seiner Frau weg. Sein Blick glitt hinein in das freie Gelände.
Da sah er den Wagen!
Er war noch ein gutes Stück entfernt, aber deutlich zu erkennen.
Beide Sinclairs konnten nur staunen. Sie hatten ein normales Fahrzeug erwartet. Was da jedoch über den Weg von Norden her kommend in ihre Richtung fuhr, konnte man beim besten Willen nicht als Auto bezeichnen. Es war ein Pferdegespann.
Zwei Tiere zogen einen Wagen, dessen halbrunde Plane über die Rücken der Tiere hinwegragte. Auf dem unebenen Weg schaukelte das Gefährt und tanzte auch hin und wieder über Bodenrinnen und Wellen hinweg.
Über ihnen lag ein weiter, schottischer Winterhimmel. Von der Farbe her blaßblau, aber versehen mit langen Wolkenstreifen, die ein unregelmäßiges Muster bildeten.
Wie scharf gezeichnet malte sich das Fuhrwerk unter dem Himmel und auf der Straße fahrend ab.
Wer auf dem Bock saß, konnten die Sinclairs nicht erkennen, machten allerdings aus, daß es sich bei ihnen um zwei Personen handelte. Horace hatte seine Brille aufgesetzt. »Das sind sogar ein Mann und eine Frau«, meldete er.
»Kennst du sie denn?«
»Nein, Mary, die habe ich noch nie zuvor gesehen. Ich bin mir noch nicht sicher, ob es die beiden sind, die wir hier treffen sollen und die in Johns Namen angerufen haben.«
Mary strich durch ihr Haar. »Haben sie wirklich in Johns Namen angerufen?«
»Wie meinst du das denn?«
»Ich bin mißtrauisch geworden. Vielleicht wollen sie uns in eine Falle locken.«
Sinclair streckte dem anfahrenden Gespann seinen Arm entgegen.
»Die?« lachte er, »das glaube ich einfach nicht.«
»Sei etwas vorsichtig mit deinen Äußerungen, Horace. Du weißt
Weitere Kostenlose Bücher