0575 - Vampir-Gespenster
Sinclair gab es keinen Zweifel mehr. Sie war erfahren genug, um zu wissen, wen sie da vor sich hatte.
Einen Vampir!
***
Vampire brauchen Menschenblut. Wenn sie es nicht bekamen, verdorrten und vergingen sie.
Dieses Wissen schoß Mary durch den Kopf. Sie spürte, wie das Blut aus ihrem Gesicht wich und ihre Haut bleich wie die eines Blutsaugers wurde.
Was sollte sie tun?
Sie stand da, bewegte sich nicht und achtete kaum auf die Hand des Fremden, die sich gegen ihren Rücken legte, als wollte sie der Mann zu dem Vampir hinschieben.
Das falsche diabolische Lächeln blieb auf dem Gesicht. In den Augen lag ein dunkler, kalter Glanz, als wäre das Licht des Bösen darin gefangen worden.
Auch diesen Mann hatte Mary Sinclair noch nie zuvor gesehen.
Dennoch kam er ihr irgendwie bekannt vor. Sie wußte nur nicht, wo sie ihn hinstecken sollte.
Hatte John vielleicht von ihm berichtet und ihn gleichzeitig auch beschrieben?
Möglich…
Der Vampir schob seine Hand über die Kante des vorstehenden Ladebretts hinweg. Seine gespreizten Finger näherten sich ihrem Gesicht, so daß die Kuppen über ihre Haut streicheln konnten.
Mary Sinclair bewegte ihre Schultern, als würde sie frieren. Etwas rieselte über ihren Rücken, sie wäre am liebsten im Boden versunken und hörte die Stimme des Vampirs, als er sagte: »Ja, das ist seine Mutter. Das ist Mary Sinclair…«
Auf die Worte achtete sie kaum. Für sie war einzig und allein die Stimme interessant. Mary konnte Dialekte unterscheiden. Sie wußte genau, ob ein Engländer, ein Schotte oder jemand vom Festland sprach. Dieser Vampir hier war ein Fremder. Er stammte nicht von der Insel, das hatte sie gleich herausgehört.
»Wer sind Sie?«
»Sie müßten mich kennen, Mrs. Sinclair. Wir haben uns nicht gesehen, aber Sie müßten mich kennen…«
»Nein – oder vielleicht…«
»Ich stamme aus Germany.«
»Deutschland?« wiederholte Mary Sinclair. »Und Sie… Sie kennen meinen Sohn?«
»Genau.«
»Woher denn? Was haben Sie…?«
»Ich kenne ihn gut. Wir haben oft genug zusammengearbeitet. Auch ich war so etwas ähnliches wie ein Polizist. Das bin ich nicht mehr, ich habe den Mantel des Kommissars ebenso abgelegt wie meine frühere Existenz. Jetzt lebe ich allein für die Aktion D. Ich will Blut, ich werde eine Vampir-Armee aufziehen.«
»Wer sind Sie denn?« schrie Mary.
»Will Mallmann!«
***
Da hatte sie die Antwort!
Wenn es möglich gewesen wäre, sie wäre, sicherlich noch blasser geworden.
Natürlich kannte sie Will Mallmann, den Kommissar Mallmann.
John hatte öfter von ihm gesprochen, wenn er zu Besuch in Schottland war. Und sie hatten sich dabei regelmäßig über Mallmanns Autotick amüsiert. Er war hochangesehen und sollte nun Vampir sein?
Sie mußte es einfach glauben, denn das Gebiß des Mannes war echt. Außerdem hatte sie längst festgestellt, daß er nicht atmete. Er lebte und war trotzdem tot.
»Weshalb?« fragte sie.
»Ich will ihn!«
»John – nicht?«
»Ja, deinen Sohn. Er hat geschworen, mich zu jagen, aber ich werde ihm eine Falle stellen, darauf kannst du dich verlassen, Mary Sinclair. Und du wirst der Köder sein!«
So etwas Ähnliches hatte sie sich schon gedacht. Sie senkte den Kopf. Zu viele Gedanken schossen ihr durch den Schädel. Mary Sinclair konnte sie nicht in die Reihe bringen. Klar, einen besseren Köder konnte sich Mallmann nicht wünschen, aber sie dachte auch daran, daß Vampire Geschöpfe der Nacht waren und eigentlich am Tage nicht existieren konnten. Wieso lebte er?
»Warum liegen Sie nicht in einem dunklen Sarg? Weshalb nicht? Sind Sie kein echter Vampir?«
»Doch ich bin echt, darauf kannst du dich verlassen. Aber ich trank vom alten Blut. Das ermöglicht mir eine Existenz auch am Tage. Zwar bin ich geschwächt, aber ich kann im Freien überleben. Au ßerdem werden wir uns gleich verbergen, denn meine beiden Freunde, Fatima und Richard sind ebenfalls Vampire.«
Mary Sinclair wollte es genau wissen und drehte den Kopf.
Richard grinste sie an. Seine beiden Zähne schimmerten wie kleine Messer.
Nun war Mary Sinclair klar, daß man sie eingekesselt hatte. Eine Chance, aus dieser Lage zu entwischen, bestand nicht mehr. Sie war ihnen ausgeliefert.
»Heb sie hoch, Richard!«
Zwei Hände packten die Frau. Ein kurzer Ruck, sie schwebte über dem Boden, wurde nach vorn gekippt, so daß Mallmann zugreifen konnte.
Spielerisch und irgendwie leicht hob er sie in die Düsternis unter der Plane.
Er starrte sie an. Mary
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