058 - Gänsehaut
gewiss nicht so prompt geklappt.
Er schob die Tür auf, dann stand er in dem winzigen Flur des Apartments. Wieder war da jener Geruch nach Minze, Myrrhe oder Rosmarin.
Er schritt in den Wohnraum und blieb stehen. Er hütete sich, das Licht anzuknipsen. Wie leicht konnte zufällig einer der Japaner vorübergehen und den verräterischen Schimmer bemerken. Er wartete, bis sich seine Augen einigermaßen auf die Dunkelheit eingestellt hatten. Zum Glück fiel Mondlicht durch die großen Fenster, wenn es auch durch die Vorhänge gefiltert wurde.
Es herrschte eine heillose Unordnung. Hajime Tanaka und seine vier Mitarbeiter hatten den Raum völlig umfunktioniert, die Stühle und Sessel fortgerückt und stattdessen Flechtmatten auf dem Fußboden ausgebreitet, die offensichtlich als Sitzgelegenheiten dienten. Den Mittelpunkt des Zimmers bildete ein flacher, höchstens zehn Zentimeter hoher Tisch, auf dem mehrere Aschenbecher standen. Sie quollen über vor Kippen und Asche. Benutzte Räucherstäbchen steckten in merkwürdig geformten Ständern, und eine Reihe von Gerätschaften lag herum, deren Bedeutung sich Dorian vorerst nicht zu erklären wusste. Schwerter und Messer waren darunter, und an den Wänden hingen Masken, die das Aussehen fernöstlicher Dämonen und Götter hatten. Als Dorian daran vorüberging, glaubte er, die Augen starrten ihm nach. Das Apartment hatte zwei große Schlafräume, in dem zwei und drei Betten aufgestellt waren. Dorian wusste nicht, wo Hajime Tanaka zu schlafen pflegte, aber das war auch gleichgültig. Von Bedeutung war indessen, was er bei der Inspektion des zweiten Schlafzimmers entdeckte: Porzellangefäße, schätzungsweise zwei bis drei Dutzend, waren vor der Tür zum Balkon sternförmig zueinander angeordnet worden, und in den Schalen, Tassen und Näpfen schwappten seltsame Substanzen. Ob das Flüssigkeiten oder schlammähnliche Materialien waren, die da brodelten und gluckerten, ließ sich auf den ersten Blick nicht feststellen; Dorian konstatierte lediglich, dass sie unaufhörlich in Bewegung waren, unheimlich zischten, schmatzten und kochten. Manchmal spritzten winzige Fontänen hoch. Dorian fühlte sich an Geysire und Schlammvulkane erinnert. Er wunderte sich etwas, dass er diese eigentümlichen Geräusche nicht schon beim Eintreten vernommen hatte, und kam zu dem Schluss, dass dieses Gurgeln und Rauschen soeben erst eingesetzt hatte.
Für ihn war es ein Zeichen, dass er sich beeilen musste. Falls er nichts Geeigneteres fand, wollte er ein paar Kippen aus einem der Aschenbecher im Wohnzimmer mitnehmen. Doch dann stieß er auf mehrere vollständige Theriak-Zigaretten. Sie lagen in einer mit japanischen Schriftzeichen bemalten Schachtel unter einem Bett. Dorian nahm nur eines der schneckenförmig zusammengedrehten Stäbchen heraus und ließ es in seiner Jackentasche verschwinden.
Gerade wollte er gehen, da fiel ihm das Bild über dem Kopfende des Bettes auf. Dorian ging näher heran, um es besser in Augenschein nehmen zu können. Es handelte sich um eine kunstvolle Tuschpinselzeichnung im japanischen Stil. Sie stellte eine Blume dar. Der Dämonenkiller konnte sich nicht entsinnen, die Blume jemals in der Natur irgendwo gesehen zu haben, doch sie faszinierte ihn. Auf der Darstellung spross sie aus einem Schnee- und Eisfeld. Die Farben waren einmalig gut gewählt und aufeinander abgestimmt.
Dorian war es, als hätte die Pinselzeichnung eine rätselhafte magische Ausstrahlung. Er nahm das Bild ab und klemmte es sich unter den Arm.
Er hatte das Wohnzimmer erreicht, als es draußen zu glühen begann. Dorian blickte zu den Fenstern hinüber. Der Himmel hatte plötzlich eine feuerrote Farbe. Er wusste nicht, ob das etwas mit der Entwendung der Theriak-Zigaretten oder des Bildes zu tun hatte. Ihm blieb auch keine Zeit, darüber Mutmaßungen anzustellen, denn unversehens schienen vor den Fenstern Läden zuzuschwingen. Einen Augenblick wurde es stockfinster, dann schimmerte aus unbekannten Quellen farbiges Licht, und in dem zu einer fernöstlichen Hexenküche umgewandelten Apartment der Japaner war gleich darauf der Teufel los.
Der Dämonenkiller legte das Bild vorerst nicht aus der Hand. Mit dem Rücken gegen die Wand gelehnt, holte er die gnostische Gemme hervor, hielt sie empor und tastete sich rückwärts auf den winzigen Korridor hinaus.
Er kam nicht bis zur Tür. Jäh riss eine der Gardinen vor den Fenstern entzwei. Der eine Fetzen kam mit schier unglaublicher Geschwindigkeit auf ihn
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