0582 - Das Monstrum
nicht orten und auch nicht fassen.
Mein Blick glitt ins bleierne Grau des Tages. Die Wolken schienen sich überall zu befinden, sie bewegten sich, sie…
Verdammt, da war etwas!
Plötzlich war es erschienen. Als hätte es der graue Himmel kurzerhand ausgespuckt.
Etwas Eisiges rieselte über meinen Rücken, als ich den Gegenstand erkannte.
Wuchtig, kantig, eckig und sehr, sehr schwer, aber mit einer spielerischen Leichtigkeit durch die Luft segelnd und dabei ein Ziel anvisierend, daß mir überhaupt nicht paßte.
Es war unser Aufzug!
***
Bis zum Mittag hatte Melody nur über Akten gesessen. Es war eine Arbeit, die ihr überhaupt nicht paßte, doch sie gehörte eben zum Job des Polizisten, der zumeist nur in den TV-Serien so ungemein spannend dargestellt wurde.
Melody Ingrams Zeit verging meist im Büro, denn Aktenstudium gehörte dazu.
Sie war dabei, eine Jugendbande aufzurollen. Ausgerechnet junge Mädchen, die sich durch Einbrüche ernährten und nebenbei noch der Prostitution nachgingen.
Da sie der farbigen Minderheit angehörten, hatte man ihnen wenig Chancen gegeben. Melody Ingram sah ihr Problem mehr als ein gesellschaftliches an. Ein Vorteil hatte das Studium der Akten gebracht. Sie wußte, wer die Mädchen lenkte, und das war einer der bekannten Zuhälter, den sie sich schnappen wollte.
Bis zum Mittag war sie fertig, ohne sich allerdings richtig konzentrieren zu können. Die Sache mit dem Grabstein war ihr an die Nieren gegangen.
Sie konnte sich nicht vorstellen, daß es jemand gab, der den Stein des toten Kino-Mörders stahl. Das wollte einfach nicht in ihren Kopf. Wer tat so etwas und weshalb?
Gegen zwölf Uhr klappte sie die Akte mit einem lauten Geräusch zusammen. Ein Kollege, der etwas mit der Hand schrieb, fuhr erschreckt hoch. »Herrje, was ist los?«
»Ich habe keinen Bock mehr.«
»Dann mach Pause.«
Sie nickte. »Das werde ich auch.«
»Wo willst du was essen?«
Melody hob die Schultern. »Das weiß ich noch nicht. Eigentlich wollte ich kurz nach Hause. Ich muß noch einkaufen.«
»Bring mir was mit.«
»Was denn?«
Der Kollege reckte beide Arme. »Irgendwas. Ist mir eigentlich egal.«
»Wolltest du nicht abnehmen?«
»Raus.«
Melody verließ lachend den Raum. Sie trug keine Uniform, sondern war normal gekleidet. Wenn sie mit Jugendlichen zu tun hatte, störte die Uniform oft genug, sie machte die jungen Leute aggressiv.
Da war es besser, normale Kleidung zu tragen, zum Beispiel lange Hosen, einen Pullover, den Trench und das rote Kopftuch, das sie sich umband, weil sie ihr Haar vor der Feuchtigkeit schützen wollte.
Melody Ingram hatte sich in den vergangenen Jahren kaum verändert. Noch immer trug sie die Haare lockig und halblang. Vielleicht hatte ihr Blick etwas von der natürlichen Fröhlichkeit verloren, viele Erfahrungen waren hinzugekommen, die hatten die junge Frau doch mißtrauischer werden lassen.
Eine feste Bindung war sie in der Zwischenzeit auch nicht eingegangen. Sie hatte zwar einen Freund, der arbeitete jedoch meist im Außendienst als Kameramann einer privaten TV-Gesellschaft. Sie sahen sich oft tagelang nicht. Ihrem Job konnte das nur guttun.
Der Supermarkt lag nicht weit entfernt. Ein paar Schritte, dann über die Straße nahe der U-Bahn-Haltestelle, und sie war da.
Melody kümmerte sich um die Tiefkühltruhe. Eine Pizza, etwas Gemüse, auch Eis, Brot und Konserven holte sie ebenfalls. Zum Schluß noch zehn frische Eier.
Mit einer großen Tüte bewaffnet verließ sie das Geschäft. Bis zu ihrer Wohnung konnte sie mit der Tube fahren. Zwei Stationen waren es, eine Sache von Minuten.
Sehr schnell war sie zu Hause. Melody wohnte in einem kastenförmigen Altbau mit dunkelroter Fassade. Er war vollgestopft worden mit kleineren oder mittelgroßen Apartments.
Melody fuhr hoch in die dritte Etage, wo eine Nachbarin den Flur putzte und sauer war, als die junge Frau über die frisch gereinigte Stelle schritt.
»Fliegen kann ich leider nicht«, sagte sie.
»Kommen Sie auch zurück.«
»Sicher.«
»Dann wischen Sie sich zuvor die Füße ab.«
»Gern.«
Kopfschüttelnd schloß Melody die Wohnungstür auf und betrat die Diele. Der Zettel stach ihr sofort ins Auge. Er lag dicht hinter der Tür. Jemand mußte ihn durch den Briefkastenschlitz geschoben haben. Melody stellte die Tasche zur Seite und spürte, daß sich die Haut auf dem Rücken spannte. Plötzlich dachte sie wieder an die Meldung vom Morgen über den fliegenden Grabstein.
Mit zitternden
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