0591 - Engel der Geister
will, wo muss ersuchen?«
»Sie ist nah und doch so fern. Sie kann Zeiten und Grenzen überspringen. Sie liegt am Tor zu einer anderen Welt, obwohl sie nicht zu der Welt gehört, die Menschen einmal als das Fegefeuer bezeichnet haben. Aber das wird dir kein Begriff sein.«
»Du irrst dich, Valesca. Ich sage nicht nur Fegefeuer, ich benutze auch einen anderen Begriff – Aibon!«
Sie schaute hoch. »Du kennst das Land?«
»Ja.«
»Es ist mein Traum, Fremder. Aibon ist mein Traum, aber ich kann nicht hin. Diese Halle des Schweigens liegt vor den Toren Aibons. Hier sind Seelen vereint, die nicht hinein können. Sie möchten gern, sie sind nicht würdig. Diese Seelen befinden sich in einer Wartestellung. Vielleicht öffnet ihnen jemand das Tor nach Aibon, von dem auch ich träume, aber es wird kaum geschehen. Sie sind hilflos, man kann mit ihnen spielen, wie es dieser Seelendieb getan hat. Und ich schaffe es nicht, sie zu schützen. Ich kann keinen Austausch verhindern, die böse Macht des Seelenräubers ist zu groß.«
»Ich kenne diesen Mann. Er hat auch meine Seele geraubt und ausgetauscht, aber ich bin seiner Magie entkommen.«
»Wie denn?« Sie fasste mich plötzlich an. Die Kälte der Finger spürte ich durch den Stoff. »Wie hast du es geschafft, die fremde Seele abzugeben und die eigene wieder zu übernehmen?«
»Das kann ich dir nicht sagen. Es hat mir jemand geholfen. Da war plötzlich das Schimmernde auf meinem Körper, das mich aus der Welt verstieß und hierher schaffte.«
»Dann geschah dies nicht ohne Grund«, sagte Valesca leise.
»Weißt du auch, welches der Grund gewesen sein könnte?«
Sie runzelte die Stirn. »Ja, vielleicht. Das Schicksal hat dich geschickt. Du kannst möglicherweise derjenige sein, der den Seelen das Tor zu Aibon hin öffnet. Der ihnen die Freiheit gibt, nach der sie so lechzen, denn noch sind sie Gefangene und können nicht mehr weiter. Es tut mir leid für sie.«
»Wenn das so ist, müsste ich das Tor sehen können. Wo befindet es sich? Kann ich hin?«
»Es ist nicht fern!« lautete die Antwort.
Ich ließ das Thema vorerst und fasste kurz zusammen. »Die Seelen finden also keine Ruhe. Sie können ausgetauscht werden, so weit, so gut. Aber ich kenne eine andere Welt, in der sich ebenfalls Seelen befinden, die nie mehr freikommen. Es ist ein Reich der absoluten Schwärze, eine furchtbare Bestrafung und…«
»Sprich es nicht aus!« rief sie.
»Doch, die Welt des Spuks!«
Valesca schreckte zurück. Dass sie so heftig reagierte, bewies mir, dass sie den Spuk kannte oder zumindest von ihm gehört hatte.
»Wie – wie sprichst du, John?«
»Ich kenne den Spuk.«
Sie streckte mir ihren Arm entgegen. »Nein, bitte nicht. Erwähne diesen Namen nicht. Es ist die absolute Bestrafung, in seine Welt zu geraten. Hier habe ich noch einen Funken Hoffnung. In der Welt des Spuks würde auch er verlöschen.«
»Das stimmt. Es ist schlimm, zwischen die Seelen getöteter Dämonen zu gelangen.«
»Der Spuk ist ein Teil der Hölle!« hauchte sie. »Schlimmeres kann es nicht geben.«
»Dann willst du nach Aibon, nicht wahr?«
Plötzlich lächelte sie. Es machte ihr Gesicht weicher. »Ja, Aibon ist meine Traumwelt. Ich stehe davor, aber ich kann und darf nicht hinein. Ich möchte dieses Land sehen.«
»Du bist keine Druidin«, gab ich zu bedenken.
»Ich weiß, aber es leben nicht nur Druiden in Aibon, auch andere Wesen. Die Elfen, die Feen, die Zwerge, all die Märchenwelt, die nur teilweise in die normale hineinsickerte, kannst du dort finden. Wir befinden uns vor Aibon, ich bin der Engel der Geister, aber man hat mich entmachtet. Ich kann den Seelen nicht mehr helfen.«
»Aber ich werde es versuchen«, erklärte ich und fasste nach dem Arm der zarten Person. »Bitte, Valesca, führe mich hin. Begleite mich an das Tor, von dem du gesprochen hast.«
Sie tat sich schwer, senkte den Kopf und sah so aus, als wollte sie nicht gehen. Schließlich erhob sie sich von dem schmalen Mauervorsprung und nickte. »Ja, ich werde dich an das Tor bringen, damit du in den Saal des Schweigens gehen kannst, wo sie warten, wo sie stöhnen und jammern, wo sie Hoffnungen haben, die sich nie erfüllen werden.« Sie hob die schmalen Schultern und lächelte verloren.
Das Schwert nahm ich mit, obwohl es mir irgendwie unnütz vorkam. Gegen Geister, gegen Seelen oder was auch immer für feinstoffliche Geschöpfe es waren, würde es mir kaum helfen.
Ich dachte an Aibon und auch daran, dass es ein Land
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