0597 - Leichen-Ladies
Luke.
Auch da hatte sie kein Glück. Aber sie leuchtete mit der kleinen Lampe hinein, die in der Handtasche gesteckt hatte. Der Strahl wanderte über einen sehr schmutzigen Boden. Nur einen alten Schemel riß er aus der Finsternis.
Das war also auch nichts. Allmählich schwand die Hoffnung dahin. Es blieb nur das dritte Fenster.
Wieder leuchtete sie hinein und glaubte, schlurfende Schritte zu hören.
Jane versteifte, gleichzeitig zitterte die Lampe in ihrer rechten Hand.
Jemand näherte sich dem Fenster, eine Gestalt, gebeugt, als würde eine schwere Last sie drücken. Dann erschien eine bleiche Hand, die die Augen vor der Blendung durch den Lichtstrahl schützte. Feiner Staub klebte in den Hautfalten.
Jane bewegte den Strahl etwas zur Seite. Sie wollte das Gesicht sehen – und sah es.
Mary Sinclair stand schräg unter ihr!
***
Gefunden – ich habe sie gefunden! Mein Gott, es ist mir gelungen!
Die Gedanken wirbelten durch Janes Kopf, sie machten sie nahezu schwindlig. Was John und Suko trotz langer Suche nicht erreicht hatten, war ihr vergönnt gewesen.
Für Jane war es nicht faßbar. Aus diesem Grunde hatte sie auch die Sprache verloren.
Mary Sinclair, aber welch ein Gesicht! Gezeichnet von einer ungeheueren Qual. Es ›redete‹ stumm über die lange Zeit dieser menschenunwürdigen Gefangenschaft.
Auch Jane Collins schaffte es nicht, ein Wort zu sagen. Ihr Gesicht war blutleer geworden und zeigte fast eine ebenso bleiche Farbe wie das der Gefangenen.
Jane hatte gehofft, die Frau zu finden. Da diese Tatsache nun eingetreten war, schaffte sie es einfach nicht, sie zu verkraften. Auch deshalb blieb sie stumm.
Die Finger der bleichen Hand bewegten sich. Sie krallten sich um die Kantenecke des Fensters, als wäre die Frau dabei, sich in die Höhe zu ziehen, was sie natürlich nicht schaffte.
Endlich schaffte Jane Collins es, einige Worte zu sprechen. Originell waren sie nicht, das konnte auch niemand verlangen. »Mrs. Sinclair«, flüsterte sie. »Mrs. Sinclair, mein Gott, was…?« Sie schwieg, denn die Gefangene bewegte den Mund. Sie hatte Mühe, etwas zu erwidern. In ihren Augen schimmerten Tränen. Die Stimme war auch nicht mehr als ein rauhes Flüstern. »Jane, großer Himmel, bist du es wirklich, Jane? Täuschen mich meine Augen nicht?«
Sie nickte, und sie drückte sich dabei noch weiter vor, weil sie unbedingt die Hand der Frau berühren wollte. Ihre Finger glitten über die schmutzige Haut, die ihr so ungemein dünn vorkam. Alles an Mary Sinclair hatte gelitten, der Körper und natürlich auch die Seele. »Ich hole Sie hier heraus, Mrs. Sinclair, das verspreche ich Ihnen. Ich hole Sie hier heraus. Darauf können Sie sich verlassen.«
Die blassen Lippen zuckten, es sollte ein Lächeln sein. »Es wird schwer werden, Jane, so ungemein schwer. Ich weiß nicht, ob du es schaffen kannst. Bist du allein?«
»Ja.«
Die Augen der Gefangenen zeigten Enttäuschung. »Was ist mit John? Wo befindet er sich?«
Jane nahm eine andere Haltung an. Sie kniete sich hin. »Ich kann es Ihnen nicht sagen, Mrs. Sinclair, aber er hat versprochen, ebenfalls zu erscheinen. John wird kommen, das müssen Sie mir glauben. Er ist schon in der Nähe. Er, Suko und ich haben einen Plan ausgearbeitet, der einfach klappen muß. Aber was ist hier los?« Jane sprach sehr schnell. Sie wollte am liebsten alles auf einmal wissen, denn ihr saß die Zeit im Nacken. »Wie viele Beginen befinden sich auf dem Hof? Wie viele Menschen überhaupt? Können Sie mir das sagen?«
»Das weiß ich nicht genau, Jane. Ich kann dir keine richtige Antwort geben. Mich haben zwei Bewacher geführt. Sie brachten mir auch das Essen. Mehr sah ich nicht, bis auf eine männliche Person.«
Mary Sinclair schnaubte. Sie schaffte es kaum, den Namen dieser Person auszusprechen. »Kannst du es dir denken, Jane?«
»Mallmann?«
»So ist es. Der verfluchte Vampir Mallmann. Er ist derjenige, der sich hier ebenfalls verborgen hält. Raffiniert versteckt, weißt du? Von hier spinnt er seine mörderischen Pläne, und die Frauen müssen ihm einfach dienen.«
»Sind es Vampire?«
»Es kann sein. Jedenfalls haben sie es immer geschafft, sich versteckt zu halten. Sie kamen nie aus sich heraus, Jane. Es ist schon schwer gewesen, etwas über sie zu erfahren.«
»Und weiter?«
»Mehr weiß ich nicht. Die vergangenen Wochen waren wie ein fürchterlicher Alptraum. Ich weiß nur, daß wir Sommer haben, aber den Monat kenne ich nicht. Was ist mit meinem Mann? Wie geht
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