06 - Der Schattenkrieg
illuminierten zwar vorwiegend den Regen, ließen Alison und seinen Begleiter aber deutlich erkennen, was geschah. Wegener sagte noch etwas zu dem Verurteilten, der noch immer arrogant aussah und das Ganze nicht ernst nehmen wollte. Der Captain schüttelte den Kopf und trat zurück. Riley legte dem Mann die Schlinge um den Hals.
Nun änderte sich »John Does« Miene. Noch immer wollte er nicht glauben, daß die Sache ernst gemeint war, aber nun schien sie bedrohliche Ausmaße anzunehmen. Fünf Mann nahmen am anderen Ende des Taus Aufstellung. Alison hätte beinahe gelacht. So hatte man es früher in der Tat gehalten, doch er hatte nicht erwartet, daß der Skipper so weit gehen würde… Die Krönung war die schwarze Kapuze, die Riley dem Verurteilten über den Kopf zog. Und jetzt hatte Mr. Doe endlich begriffen. »Nein!« Der langgezogene Schrei gellte schauerlich durch das Getöse von Wind und Wogen. Dem Mann knickten die Knie ein, und die Matrosen packten das andere Ende des Taus, zogen es straff und rannten nach achtern. Die Füße des Verurteilten lösten sich von dem gummibeschichteten Deck. Er zappelte ein paar Mal mit den Beinen und hing dann still, als das Tau an einem Poller festgemacht wurde.
»Und das war’s dann«, meinte Alison, ergriff den anderen Mr. Doe am Arm und führte ihn nach vorne. »Und jetzt sind Sie dran.«
Fast direkt über ihnen zuckte ein Blitz auf, als sie durch die Tür ins Brückenhaus gehen wollten. Der Gefangene blieb wie angewurzelt stehen und schaute ein letztes Mal zurück. Da baumelte sein Komplize schlaff und tot im Regen.
»Glauben Sie mir jetzt?« fragte der Navigator und zog ihn hinein. Mr. Does Hosen waren vom Regen durchnäßt, aber nicht nur vom Regen.
Als das Gericht wieder zusammentrat, waren alle umgezogen; James Doe trug nun einen blauen Overall der Küstenwache. Man hatte ihm die Handschellen abgenommen, und an seinem Platz fand er eine frische Tasse Kaffee vor. Die Abwesenheit von Chief Oreza und Chief Riley fiel ihm nicht auf. Die ganze Atmosphäre war nun viel entspannter nur James Doe war alles andere als gelassen. »Mr. Alison«, begann Wegener, »ich schlage vor, daß Sie sich mit Ihrem Mandanten beraten.« »Das ist jetzt ganz einfach, mein Freund«, sagte Alison. »Entweder Sie reden, oder Sie baumeln. Dem Skipper ist das scheißegal. Fangen wir mal mit Ihren Personalien an.«
Und Jesús fing an zu reden. Nachdem einer der Offiziere nach einer Videokamera gegriffen hatte, wurde er gebeten, mit seiner Aussage noch einmal zu beginnen.
»Gut ist Ihnen klar, daß Sie zu einer Aussage nicht verpflichtet sind?« fragte jemand. Da der Gefangene kaum auf die Frage reagierte, wurde sie wiederholt.
»Schon gut, ist mir klar«, antwortete er dann, ohne den Kopf zu wenden. »So, was wollen Sie wissen?«
Die Fragen waren natürlich bereits aufgeschrieben worden. Alison las sie vor laufender Kamera so langsam wie möglich vor. Die Vernehmung dauerte vierzig Minuten. Der Gefangene sprach hastig, aber nüchtern und bemerkte die Blicke, die ihm Mitglieder des Gerichts zuwarfen, nicht. »Ich danke Ihnen für Ihre Hilfe«, sagte Wegener am Ende. »Wir wollen versuchen, dafür zu sorgen, daß Ihre Strafe milder ausfällt. Für Ihren Kollegen können wir natürlich nichts mehr tun.« »Sein Pech«, meinte der Mann. Alle Anwesenden atmeten auf. »Ich werde mit dem Staatsanwalt sprechen«, versprach der Captain. »Lieutenant, führen Sie den Gefangenen ab.«
Alison ging mit ihm hinaus. Draußen auf der Leiter und außerhalb der Reichweite der Kamera aber stolperte der Gefangene. Er sah die Hand nicht, die ihn gestoßen hatte, und konnte sich auch nicht mehr umdrehen, denn eine andere Hand sauste auf sein Genick herab. Dann brach Chief Riley dem Bewußtlosen den Unterarm; Chief Oreza hielt ihm dabei einen mit Äther getränkten Mullverband auf Mund und Nase. Die beiden Chiefs trugen ihn ins Schiffslazarett, wo ein Sanitäter die simple Fraktur schiente. Der Patient wurde anschließend schlafen gelegt und mit dem gesunden Arm ans Bett gefesselt.
Am nächsten Morgen, der Hubschrauber war eingetroffen, holte Oreza ihn an Deck. Dort wartete Chief Riley mit Ramón José Capati, der zu James Does - oder besser Jesús Castillos grenzenlosem Erstaunen quicklebendig war. Zwei DEA-Agenten setzten die beiden so weit wie möglich auseinander. Einer hatte nämlich gestanden, erklärte der Captain, und darüber mochte der andere nicht allzu erfreut sein. Castillo konnte den Blick nicht von Capati
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