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06 - Weihnacht

06 - Weihnacht

Titel: 06 - Weihnacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl May
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ein Teil von diesem Gold sehr willkommen wäre!“
    „Wirklich?“
    „Ja. Ich bin ein so ein blutarmer Teufel gewesen und habe mich bis zum heutigen Tage immer vorwärtshungern und -kümmern müssen. Und meine Verwandten sind gar noch ärmer als ich. Welch ein Glück und welch eine Wonne, wenn man da einmal eine Tasche hätte, in welche man nur zu greifen braucht, um all dieser Not ein Ende zu machen! Meinen Sie nicht, daß so etwas doch vielleicht möglich wäre?“
    „Möglich wohl. Hm! Ich will Ihnen den Rat geben: Bilden Sie sich nichts ein! Wenn man nichts hat, so ist es besser, man behält nur dieses Nichts, als daß man sich noch eine Enttäuschung dazu holt. Legen Sie sich schlafen!“
    „Das werde ich; aber ich will doch versuchen, ob ich es fertigbringe, von Geld zu träumen, wenn auch nur von einem ganz kleinen bißchen. Dann hätte ich mich doch wenigstens einmal im Schlaf gefreut!“
    Er legte sich um und war auch bald eingeschlafen. Ob und wovon er träumte, das konnte ich ihn leider nicht fragen, ohne ihn aufzuwecken. Als meine Zeit um war, weckte ich Teeh, der nach mir kam; dann warf ich mich auch in die weltbekannten Morpheusarme, welche mich erst losließen, als es Tag geworden war.
    Als wir unser Morgenbrot verzehrt hatten, welches aber nicht aus Brot, sondern aus Trockenfleisch bestand, stiegen wir auf und suchten eine Furt im New-Fork, welche Winnetou kannte. Hiller schien sie auch zu kennen, denn seine Spur führte grad auf sie zu und dann hinüber. Der New-Fork macht einen großen Bogen nach Fremonts Butte und dem Bouldersee hin; wir schnitten ihn ab, indem wir jetzt an das andere Ufer gingen, um später wieder an das erste zurückzukehren.
    Der Ritt ging über ein weites, sich stets aufwärts ziehendes Grasland, welches hie und da von einem Wäldchen unterbrochen wurde. Die Luft war kalt und trübe; das Gras hatte ein halberfrorenes Aussehen; die Höhen trugen Schnee. Wir ritten den halben Vormittag durch eine feuchte Spätherbstlichkeit und dann gar in den Winteranfang hinein.
    Es war eine grandiose Natur um uns her. Wenn es nicht für manchen lächerlich klänge, würde ich von einer Shakespeare-Landschaft sprechen. Links glühten die finster bewaldeten Vorberge der Salt River Range über den nordsüdlich fließenden Green River herüber; hinter uns schienen die dunklen Black- und Tabernacle-Bluffs die Last des schweren Himmels zu tragen; weit draußen, rechts, versammelten sich die Sweetwater-Giganten einer nach dem andern, der Atlantik-, Windriver- und Temple-Peak, der Chauvenet, Hooker, Bonneville und Golkie, um sich dann in geschlossener Kolonne vom New-Fork-Peak aus über die stolze und unüberwindliche Wind River Range bis hinauf zum Union Paß zu ziehen. Sie blickten, Haupt an Haupt, mit schwerem Eis und Schnee bedeckt, bald tiefernst, bald vorwurfsvoll, bald hohnlächelnd auf uns nieder, daß wir lächerlichen Pygmäen es wagen wollten, in eine Welt einzudringen, wo nur das Große, Erhabene Platz zu finden, die alles Kleine, Gewöhnliche zu erdrücken, zu zermalmen schien.
    Ich habe an anderer Stelle den Eindruck der Rocky-Mountains zu schildern versucht; das war, wenn man sie von weitem erblickt. Hier aber befanden wir uns nicht nur mitten drin, sondern hoch oben zwischen ihren höchsten Höhen. Da gab es nicht jenes hochinteressante Farbenspiel der Felswände, jene stimmungsvolle Abtönung der sich übereinander aufbauenden und hintereinander zurücktretenden Bergeskuppen, sondern da saßen oder lagen die finstern, drohenden Hünen des Gebirges lang ausgestreckt und weiß bedeckt von Butte zu Butte, von Paß zu Paß und hauchten ihre eisigen, erbarmungslosen Atemstöße durch die Täler, daß sie sich in dichte Nebel ballten oder als glitzernder Reif den Hochwald und das starre, fühllose Gestein überzogen. Da gab es keine Spur von Freude und Scherz, von Frohsinn und Heiterkeit, auch keine Spur der Wehmut, der stillen, stummen Klage war zu entdecken; keine sanfte Höhe weinte ihre Tränen heimlich in das Tal. Nein, hier in dieser sprachtoten, stummen Einsamkeit hatte sich eine erschütternde, unheilvolle Tragödie abgespielt, deren Schauer noch nicht gewichen waren, sondern sich an die hingesunkenen Riesenleiber für immer festgeklammert zu haben schienen. Hier stiegen versteinerte und doch noch gellende Hilferufe aus den Zwischenklüften; hier lagen die zerschmetterten Intervalle niedergerungener Todesschreie ringsumher; hier war das Ächzen und Stöhnen eines unendlichen,

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