Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
060 - Der Henker von London

060 - Der Henker von London

Titel: 060 - Der Henker von London Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter T. Lawrence
Vom Netzwerk:
diese Stimme ist. Sie macht mich fertig, die verdammte Stimme, lullt mich ein, saugt die Kraft aus mir heraus.“ Ich sah den Sergeant prüfend an. „Glauben Sie mir überhaupt, Potter?“
    „Natürlich“, antwortete er. „Natürlich glaube ich Ihnen Sir.“
    Er blickte wieder angestrengt auf seine Finger. Potter war ein schlechter Lügner. Er glaubte mir kein Wort.
    Er blieb in dieser Nacht trotzdem bei mir, und ich war froh darüber. Vielleicht hatte er recht gehabt, eben, als er mir riet, in ein Krankenhaus zu gehen. Ich fürchtete mich vor dem Alleinsein, fürchtete mich vor der Stimme, vor dem Dahinsiechen, vor der unbekannten Macht. Mir war nichts geblieben als die Angst. Elende, erbärmliche Angst!
     

     

Potter war ins Wohnzimmer hinuntergegangen. Ich hatte ihm gesagt, wo er Bettzeug finden würde und eine Decke. Eine Weile hörte ich ihn noch durch die offene Schlafzimmertür rumoren, dann löschte er die Lampe, und es wurde still.
    Stille kann furchtbar sein. Stille kann Angst sein, Entsetzen mit sich bringen, und unvorstellbares Grauen vor etwas, das man nicht kennt. Die Kälte kriecht an einem hoch, und man weiß nicht, warum. So jedenfalls fürchten sich die meisten Leute. Bei mir war es ähnlich. Nur, daß ich genau wußte, wovor ich mich fürchtete.
    Ich schloß die Augen, bemühte mich, einzuschlafen. Ich war geschwächt. Durch und durch ausgelaugt. Da ist man doch müde, schläft ein, wo man gerade liegt, und alles um einen herum wird gleichgültig. Kälte, Feuer, Tod – das bedeutet Erlösung, mehr nicht. Alles ist unwichtig. Nur schlafen, tief und fest schlafen, das ist wichtig.
    Bei mir war es nicht so, wie sehr ich mich auch bemühte. Ich lag da, wartete, daß das Grauen sich auf meine Brust legte, mir die Kehle zuschnürte. Wartete auf die dürren Hände des kleinen, vertrockneten Männleins, das Tod hieß, und das mich mit irrem, triumphierenden Blick in die Hölle schleppen würde.
    „Hallo, John …“
    Kalt floß die Angst mir über die Kopfhaut, in meinen geöffneten, nach Atem ringenden Mund, zu meinem Herzen. Ich fühlte, wie ich innerlich zu erstarren begann, wollte mich dagegen aufbäumen, schreien, meine Gedanken aus dem Zwang befreien. Aber die Macht des anderen war stark. Meine Gedanken flogen. Irgendwohin. Flatterten aufgeregt davon. Nacht, Vergessen.
    „John! Komm herunter …“
    „Ja“, hauchte eine Stimme, die der meinen ähnelte. Und dann ein zweites Mal: „Ja …“
    Irgendwo draußen schlurften knirschende Schritte heran. Eine Steintür rollte zurück, und die Gestalt trat ein.
    Sekundenlang blieb sie zögernd stehen, dann schloß sie die Tür hinter sich und stapfte mit trägen, schweren Schritten auf den rötlichen Sandsteinquader zu.
    „Ich kann ihn schon fühlen“, flüsterte jemand. „Ich fühle das Moos unter meinen Fingerspitzen, die Kühle des Steins. Rieche den modrigen Geruch, der von ihm ausgeht.“
    Der Kopf der Gestalt drehte sich langsam in die Richtung, aus der die Stimme gekommen war. Für den Bruchteil einer Sekunde blitzte es in den Augen des seltsam schimmernden Gesichts auf, aber der Funke erlosch sofort wieder. Die harten Lippen, die wie die übrige Haut des Körpers aus ziseliertem Glas zu bestehen schienen, verzogen sich zu einem unterwürfigen Lächeln.
    „Ich sehe es, Herr“, kam die Stimme des Wesens dumpf aus der Tiefe der Brust. „Nun wirst du bald selbst richten können.“
    Die Hand der schemenhaften Gestalt fuhr über die glatte* Oberfläche des Steines.
    „Hier werden sie wieder sterben“, flüsterte die andere Stimme. „Sie werden verbluten auf diesem Stein, John. Und du wirst mir helfen, wieder einer der ihren zu werden. Dein Haß gegen das Böse hat mich aus meinem Schlaf geweckt und das Feuer unserer Gemeinsamkeit entfacht. Nun laß es hell aufflackern durch deine Kraft, die Wärme deines Körpers und das Blut deiner Opfer.“
    „Ja“, sagte die Gestalt mit der schimmernden, gläsernen Haut. „Ich werde richten.“
    „Von Tag zu Tag materialisiere ich mich mehr, John!“ Die durchscheinende, aufrecht stehende und schlanke Gestalt am Steinquader streckte stolz seine Hand aus. „Noch ein paar Tage, und festes Fleisch wird sich um diese Hand gebildet haben. John, das wird ein großer Tag werden. Nicht nur durch die Kraft meiner Gedanken werde ich richten, sondern mit diesen, jetzt noch so zerbrechlich wirkenden Händen.“ Die Stimme schwieg für kurze Zeit und fuhr dann fort: „Nimm deine Sachen, John. Du hast noch

Weitere Kostenlose Bücher