060 - Der Henker von London
viel zu tun heute. Und vergiß es nie: Ich brauche Blut, sehr viel Blut. Noch bin ich zu schwach, einen ausgewachsenen starken Mann selbst zum Bluten zu bekommen. Aber ich werde wieder bei dir sein, auf deine Gabe warten.“
„Blut …“, sagte das Monstrum röchelnd. „Ja, Herr!“
Es ging in eine dunkle, finstere Nische, ergriff sein Henkersbeil, zog sich das zerrissene Hemd über die nackte Brust, bedeckte seinen Unterleib mit einem Fetzen Stoff und trat wieder an den Stein.
Das Gesicht lächelte ihn an.
„Geh und richte in meinem Namen“, sagte es dann mit sanfter, einlullender Stimme. „Heute wirst du Hetty Freeman töten. Vor vier Jahren hat sie ihren kleinen Sohn getötet und diese Tat bis heute noch nicht bereut. Ihr Blut soll meine Kräfte stärken, ihre Wärme auf mich übergehen.“
Stumm wandte sich das Monstrum ab, schlurfte auf die Tür zu. Eine schemenhafte, schlanke Gestalt folgte ihm. Viele warteten auf das Grauen in dieser Nacht. Auch Hetty Freeman lag in dieser Sekunde wach im Bett, grübelte, schwitzte kalte Angstperlen.
Aber noch wußte sie nicht, daß sie das nächste Opfer sein würde.
„Guten Morgen“, sagte Claudia und schenkte mir ein bezauberndes Lächeln. „Wie fühlst du dich?“
Ich versuchte mich aufzurichten. Es tat weh, aber es ging. „Besser“, sagte ich, erstaunt über den plötzlichen Umschwung. „Vielleicht haben die Spritzen des Docs doch geholfen.“
Eine sanfte, zarte Hand strich mir über die Stirn.
„Du bist in Schweiß gebadet, Liebling. Aber ich freue mich, daß es dir heute morgen bessergeht. Ich glaube, du hast ein wenig Fieber. Dr. Tracy kommt in einer halben Stunde. Ich habe das Mädchen nach ihm geschickt.“
„Danke.“ Ich setzte mich aufrecht ins Bett. Es war immer noch eine mühsame Angelegenheit, aber die Schmerzen waren wirklich zu ertragen. Es ging aufwärts mit mir, so schien es. „Ist Sergeant Potter noch unten?“ fragte ich, froh, endlich wieder Sauerstoff in meine Lungen pumpen zu können.
Claudia sah mich erstaunt an.
„Ein Sergeant? Wo soll er sein?“
„Im Wohnzimmer. Er wollte heute nacht hier schlafen. Ich bat ihn jedenfalls darum und erinnere mich noch genau, daß er sich unten aufs Sofa legte. Dann schlief ich selbst ein.“
War ich tatsächlich eingeschlafen? Ich rief mir die letzten Minuten wieder in Erinnerung, die ich mit dem Sergeant zusammengewesen war. Was war geschehen, nachdem er unten im Wohnzimmer das Licht löschte?
„Woran denkst du, John?“
Ich zuckte mit den Schultern. „Ich weiß es selbst nicht“, sagte ich leise. „Jedenfalls war Potter hier, und er versprach mir, bis zum Morgen dazubleiben. Vielleicht hat er unten einen Zettel für mich hinterlassen. Würdest du mal nachsehen, Claudia?“
Während Claudia hinunterging, schwang ich vorsichtig die Beine aus dem Bett und stand auf. Mir war ein wenig schwindelig, meine Gelenke kamen mir vor, als bestünden sie aus Gummi und als seien sie eingerostet, aber ich fühlte mich nicht mehr so entsetzlich schwach wie gestern.
Claudia kam wieder herauf. Kopfschüttelnd blieb sie in der offenen Tür stehen. „Das Bettzeug liegt auf der Couch. Ordentlich zusammengelegt, aber benutzt. Wahrscheinlich ist er heute morgen in aller Herrgottsfrühe fortgegangen, nachdem er sich überzeugt hat, daß mit dir alles in Ordnung ist.“
Ja, so war es wohl tatsächlich gewesen. Potter hatte mich ohnehin nicht für voll genommen mit meinem Geschwätz. Aber mein schlechter Zustand mußte ihm ernstlich Kopfzerbrechen bereitet haben. Hoffentlich alarmierte er jetzt nicht sämtliche Krankenhäuser in der Stadt.
Ich ging rasch zum Telefon, rief im Yard an. Eine Weile mußte ich warten, dann hatte ich Dan Reed an der Strippe. Er freute sich, daß es mir schon wieder besserging, aber Potter hatte er heute noch nicht gesehen.
„Ich dachte, er wäre noch bei dir“, sagte er. „Zu Hause habe ich schon angerufen, als wir von der Sache mit Hetty Freeman hörten. Aber da ist er auch nicht.“
„Von welcher Sache redest du, Dan? Wer ist Hetty Freeman?“
„Eine Frau um die Vierzig. Heute morgen stand ihre Wohnungstür offen, das fand ein Nachbar verdächtig. Er rief ihren Namen, dann ging er in die Wohnung und suchte die Frau. Du kannst dir denken, was kommt, John. Sie sah sehr schlimm aus. Der Doc sagt, sie muß literweise Blut verloren haben, es war kaum noch was in ihrem Körper.“
„Das muß ja entsetzlich ausgesehen haben“, sagte ich erschüttert. Doch
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