060 - Der Henker von London
meine Hand rinnt.
Zerquetsche das Böse wie einen faulen Pfirsich.
„John!“ Ich versuche mich aufzurichten. Aber eine Zentnerlast liegt auf meiner Brust. „Mein Gott, John, so mach doch die Augen auf!“
Es geht. Irgendwie geht es. Ich öffne sie, wobei die Lider schwer über meine Pupillen gleiten. Die Helligkeit schmerzt, tut weh. Ich will die Augen mit einer Hand gegen das grelle Licht abschirmen, aber die Bewegung schmerzt höllisch.
„John“, höre ich jemanden sagen. „Kannst du mich hören?“
Natürlich kann ich das. Langsam, unendlich langsam bewege ich den schmerzenden Kopf zur Seite.
„Dan …“, fliegt es wie ein Hauch von meinen Lippen. „Gut, daß du da bist.“
Irgendwo klappt eine Tür. Hinter Dans besorgtem Gesicht taucht das von Dr. Hall, dem Polizeiarzt auf. Mühsam verzerrte ich meinen Mund, um ein Lächeln zustande zu bringen. Ob es mir gelingt, weiß ich nicht.
„Bin – ich tot, Doc?“
Kopf schütteln. Eine Hand, die über meine Stirn fährt, dann vorsichtig nach meiner Hand greift und dort ruhen bleibt.
„Man kann den Puls kaum noch fühlen.“ Das ist die Stimme des Docs. Wieder taucht sein Gesicht vor mir auf. „Und Sie halten jetzt den Mund, John. Sie brauchen jedes Quentchen Kraft für sich selbst. Gleich wird Dr. Tracy hier sein, der Sie bis heute behandelte. Bis dahin bleiben Sie ruhig liegen. Sprechen Sie nicht, aber versuchen Sie, wach zu bleiben.“
Natürlich will ich wach bleiben. Dan verschwindet aus meinem Blickfeld, die Zimmertür klappt ins Schloß. Wie aus weiter Entfernung höre ich seine Stimme: „Ich bin nebenan, wenn irgendwas ist.“
Nebenan. Claudia! Es ist gut, daß sie nicht hiergeblieben ist. Ich glaube, die Stimme hat mich fertiggemacht. Fast geschafft. Gut, daß Dan und der Doc nach mir gesehen haben.
Murmeln in der Ecke. Ein lächelndes Gesicht. Gesicht?
„Tag, John …“ Dr. Tracy beugt sich über mich, lächelt mich freundlich an. „Nur noch ein wenig Geduld, dann wird es Ihnen wieder bessergehen. Und sobald Sie transportfähig sind, kommen Sie in ein Krankenhaus. Da werden Sie dann gründlich auskuriert.“
Ein feiner Einstich im Oberarm. Eine Wohltat im Gegensatz zu den Schmerzen, die ich schon erlitten hatte.
„Es war wohl ein Rückfall“, höre ich Dr. Tracy sagen. „Dabei ging es ihm gestern schon wieder ziemlich gut.“
Sie verließen das Zimmer, schlössen leise die Tür hinter sich.
Soweit ist es also mit mir, dachte ich. Jetzt stehen sie draußen, sehen sich mit ernsten Gesichtern an, und Dr. Hall fragt: Wird er durchkommen? Und Dr. Tracy wird bedeutungsvoll die Schultern anheben und sie ebenso bedeutungsvoll wieder sinken lassen. Ich weiß nicht, Doktor. Wir können nur hoffen, wird er antworten.
Verflucht! dachte ich. Arwanus, bald hast du mich geschafft!
Mit der zweiten Spritze hatten sie mich von der Grabkante zurückgerissen. Mein Puls flatterte nicht mehr, und ich konnte mich sogar ein wenig im Bett aufrichten. Morgen, sagte Dr. Tracy, müsse ich nun wirklich in ein Krankenhaus. Bis dahin würde er mich aber so mit Spritzen vollpumpen, daß ich alleine hingehen könne.
Es sollte ein Witz sein, wie er das sagte, aber er kam nicht an.
„Was ist mit Potter?“ fragte ich mit schwacher Stimme. „Hat er sich inzwischen gemeldet?“
„Nein“, sagte Dan. „Aber du solltest dich jetzt wirklich schonen, John. Warum schaltest du denn nicht mal ab! Mußt du dir denn immer wieder den Kopf über solche Dinge zerbrechen?“
„Er hat immerhin hier geschlafen, und wir kennen uns seit Jahren. Er ging von hier fort und ist nicht mehr aufgetaucht. Und da soll ich mir keine Gedanken machen?“
„Du hilfst ihm nicht damit und dir erst recht nicht“, sagte Dan ernst. „Also, versuch an etwas Schönes zu denken.“
„Weswegen bist du gekommen?“ fragte ich, als hätte ich seinen Einwand nicht gehört. „Wegen mir oder wegen Potter?“
„Ich wollte dich besuchen. Gestern klangst du ja schon wieder ziemlich okay am Telefon. Und da wollte ich mich noch einmal mit dir über den Sergeant unterhalten. Aber es war eigentlich nichts Wichtiges …“, sagte Dan lahm. „Es hätte ja sein können, daß du was vergessen hast. So – zufrieden? Jetzt sei ein lieber Polizeiinspektor, und versuch ein bißchen zu schlafen.“
„Ich werde Ihnen wieder das Mädchen schicken“, sagte Tracy. „Sie kennen Sie ja, Inspektor.“
Ich nickte, doch dann schüttelte ich träge den Kopf.
„Nein, Doc, das ist wirklich nicht nötig.
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