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060 - Der Henker von London

060 - Der Henker von London

Titel: 060 - Der Henker von London Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter T. Lawrence
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und wenn er sein grausiges Werk einmal verrichten sollte, dann befahl er seinem Gehilfen, dem Todgeweihten so lange die Fußsohlen zu kitzeln, bis diesem die Lachtränen in den Augen standen.
    In diesem Augenblick der grausamen Freude ließ er dann sein Beil auf den Verurteilten herabsausen.
    Ein anderer wurde zum Vorboten der Hölle deklariert. Nie bekam ein Mensch auch nur einen Teil seines Gesichtes zu sehen. Es war bei jeder Vollstreckung verhüllt, und nachdem er den Verurteilten den Kopf abgeschlagen hatte, rieb er sich mit ihrem Blut die mächtige Brust ein, nahm sich einen Eimer des Blutes mit nach Hause und erschien bei der nächsten Hinrichtung noch kraftvoller, noch unheimlicher. Einmal, so stand in dem Buch, soll er einem Mann mit der flachen Hand den Kopf abgeschlagen haben.
    Eine unheimliche Macht und Kraft ging von den Henkern aus, und jeder, der früher einmal einen angstvollen Blick in ein Buch wie dieses geworfen hatte, der senkte anschließend seine Stimme zu einem Flüstern, wenn er das Wort „Henker“ aussprach.
    Ich las etwa eine Stunde in dem Buch, als ich plötzlich überrascht aufschrie. Claudia rannte aus der Küche herbei. Sie hatte sich eine kleine Schürze umgebunden. Ihre Wangen waren von der Hitze des Herdes leicht gerötet. Im Nu saß sie neben mir auf der Lehne des Sessels.
    „Lies!“ sagte sie.
    Langsam begann ich zu lesen, was ich eben schon einmal überflogen hatte. Die Sprache war verschnörkelt, blumenreich und manchmal sogar schwer verständlich. Doch ich hatte schon zu viele alte Werke studiert, um diese Zeilen kompliziert zu finden. In eine klare Sprache übersetzt stand dort:
     
    Arwanus, der Würgehenker, 1731 bis 1734
    Zeit des Schreckens für das üble Gesindel und Lumpenpack.
    Malt ein blutiges Kreuz auf Eure Brust, Schänder, heimtückische Mörder und Gottesfrevler! Die Zeit des Arwanus ist gekommen, jenem Starken, einem auserwählten Vollstrekker Eurer Sühne. Betet und weint, denn er wird Euch finden in dem dunkelsten Loch und der tiefsten Gruft.
    Über tausend verfluchte Augenpaare sahen sein Gesicht, bevor sie starben. Sein Sieg war die Gerechtigkeit über das Böse. Er vertrieb es mit den mächtigen Händen, die er den Verfluchten um den Hals legte, bis die Seele aus ihrem Leib geschieden war. Dann trennte er mit mächtigem Hieb den Kopf vom Rumpf, daß kein Gedanke mehr den Weg zum Körper finden konnte.
    Am siebten Tage des März starb er im Jahr 1734 durch die Hand einer Meuchelmörderin in seinem Haus in Sanderstead, südlich der geliebten Stadt London. Arglos trank er den Becher des tödlichen Giftes, den seine Mörderin ihm reichte. Ihr Name sei verflucht wie ihre Seele! Nach langer Folter starb sie durch das Beil des Frederic Boon, den man später den Lachenden nannte. Der Teufel nehme sich ihrer Seele an.
     
    Ich schwieg, starrte noch lange Zeit auf die Zeilen dieser Seite. Claudia saß still neben mir. Ihre Hände zitterten leicht, als sie mir das Buch aus der Hand nahm und es zuklappte.
    „Er starb in seinem Haus in Sanderstead, südlich der geliebten Stadt“, wiederholte sie mit bitter klingender Stimme. Mit einem dumpfen Geräusch landete das dicke Buch auf der Tischplatte.
    „Und nun, John?“
    „Ich weiß es nicht“, sagte ich tonlos. „Ich weiß es wirklich nicht.“
    „Du bist davon überzeugt, daß Arwanus in diesem Haus hier lebte und starb?“
    Ja, das war ich. Das Buch hatte mir letzte Gewißheit gegeben. Der Würgemeister Arwanus lebte! Lebte in einer sanften Stimme, die er überzeugend zu benutzen wußte. Lebte durch mich! Durch den winzigen Funken, den ich durch meine Kraft, meinen Haß auf alles Ungesetzliche entfacht hatte!
    Plötzlich sah ich wieder den riesigen Steinquader vor mir. Bemoost, rötlich schimmernd, blutbesudelt. Wenn ich mich doch nur mit jemanden darüber unterhalten könnte! Aber ich durfte vor Claudia meine Vermutungen nicht aussprechen. Sollte ich ihr etwa sagen: Ich glaube, Liebling, ich bin das Monstrum von London. Ich töte in seinem Namen. Zerfetze die Menschen, trinke ihr Blut, weil er es so will und ich sein willenloses Werkzeug bin.
    Nein, ich würde das Geheimnis weiter mit mir herumschleppen müssen. Mußte allein einen Weg finden, die Macht des Arwanus zu brechen. Es mußte eine Lösung geben!
    Der Steinquader! Herrgott, woher kannte ich ihn? Hatte ‚Arwanus mir dieses Bild in meine Wachträume geimpft? Warum sollte er das tun? Bisher hatte ich immer nur ihn gesehen. Sein Gesicht, seine Augen. Und

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