061 - Der Zinker
Friedmans Auto sie alle hingebracht hatte, fand sie sich vor einem Pult, das von einem Geländer umgeben war. Dahinter saß ein bärtiger Mann. Irgend jemand sagte etwas von einem zweiten Zeugen.
»Nehmen wir doch den Chauffeur«, schlug Lew vor. »Warten Sie!«
Er eilte aus dem Zimmer, konnte aber seinen Wagen nicht finden. Ein Polizist hatte beanstandet, daß er vor der Tür des Standesamtes wartete, und ihn in eine Seitenstraße verwiesen. Doch Lew traf jemand anders, den er nicht gleich erkannte, einen Mann mit einem kleinen schwarzen Schnurrbart.
»Ach, sind Sie nicht Mr. Tillman?«
»Ja, das bin ich.«
»Kommen Sie bitte einen Moment mit mir!« Friedman nahm ihn am Arm. »Wir brauchen einen Zeugen für die Trauung meiner Nichte. Haben Sie etwas dagegen?«
»Durchaus nicht«, erwiderte Tillman vergnügt.
Beryl hatte, selbst in diesem für sie beklemmenden Augenblick, das Gefühl, daß ihr zukünftiger Gatte sehr unangenehm berührt war, als er sich auf einmal seinem neuen Angestellten gegenübersah. Sie erinnerte sich, daß er von Tillman nicht viel hielt.
»Wir wollen schnell machen!« drängte Lew und schaute unruhig nach der Tür.
Es kam ihr vor, als ob Onkel Lew befürchtete, selbst im letzten Augenblick könne John Leslie noch hereinkommen und die Trauung verhindern. Trotz allem mußte sie bei dem Gedanken lächeln.
Alles ging rasch vorüber. Die Zeremonie hatte kaum recht begonnen, war sie auch schon zu Ende. Sie unterschrieb mit zitternder Hand das Protokoll. Jetzt war sie Mrs. Frank Sutton - gebunden an diesen Mann neben ihr. der zärtlich ihren Arm hielt.
Sie gab Mr. Tillman die Hand; der drückte sie mit so hartem Griff, daß sie sich darüber wunderte.
»Ich möchte Ihnen noch nicht gratulieren, Mrs. Sutton«, murmelte er,» ich werde meine Glückwünsche auf einen geeigneteren Augenblick verschieben.«
Mrs. Sutton? Sie empfand diesen Namen, mit dem sie zum erstenmal angesprochen wurde, als Faustschlag ins Gesicht. Und doch hatte sie eigentlich keinen Grund, sich beleidigt zu fühlen. Im Gegenteil - der Mann, den sie liebte, war höchstwahrscheinlich ein Verbrecher und saß jetzt hinter Schloß und Riegel. Sie schloß die Augen - Tränen stiegen ihr auf. Traurig, freudlos wie die grauen, langweiligen Wände des Standesamtes erschien ihr das Leben.
»Glaubst du, daß dir Schottland gefallen wird?« fragte Frank Sutton, als sie das Gebäude verlassen hatten. Auch er schien nervös zu sein.
»Sicher wird es mir gefallen.«
17
Man hatte den Zinker gefangen. Eine Abendzeitung brachte die Nachricht - doch sehr vorsichtig.
›Ein Mann wurde in der Marlborough-Polizeistation eingeliefert, den man mit dem Raub in der Park Lane in Verbindung bringt.‹
Das klang recht einsilbig, doch mehr hatte die Zeitung nicht zu berichten.
Mr. Josua Harras setzte sich zwar nicht gerade auf die Treppenstufen, die zur Marlborough-Polizeistation hinaufführten - das wäre von den ordnungsliebenden Beamten übel vermerkt worden -, aber er beobachtete den Eingang genau und lief dabei flink auf der Marlborough Street hin und her. Er knöpfte den Mantel abwechselnd auf und zu, was er immer tat, wenn er in großer Erregung war, wobei die eine Seite ständig etwas höher geriet als die andere.
Er war gerade wieder vor dem Eingang der Polizeistation angelangt, als Inspektor Elford aus seinem Wagen ausstieg.
»Hallo, Josua!« begrüßte er den Reporter freundlich. »Ich habe gerade heute morgen mit Barrabal über Sie gesprochen, oder vielmehr - er sprach mit mir. Er hat eine sehr hohe Meinung von Ihnen, und ich wäre nicht überrascht, wenn Sie die Zusammenhänge dieser ganzen Geschichte eher heraus hätten als irgendeiner Ihrer Kollegen!«
»Wer ist denn dieser Leslie?« Harras deutete mit dem Kopf zum Eingang der Polizeistation hinauf.
»Das wissen Sie nicht? Er war der Geschäftsführer von Frank Sutton. Wir haben ihn mit dem gestohlenen Schmuck geschnappt, mein Lieber.«
Elford schien sehr vergnügt zu sein, und zweifellos hatte er auch allen Grund dazu.
»Ist Leslie tatsächlich der Zinker?«
»Es würde mich nicht überraschen. Aber ich kann Ihnen heute abend mehr darüber erzählen.«
Geduldig beobachtete Josua die Polizeistation weiter. Nach einer halben Stunde kam Elford wieder heraus, pfiff vergnügt vor sich hin und ging der Regent Street zu. Aufgeräumt wirbelte er seinen Schirm durch die Luft, kurz, er benahm sich wie eben ein Polizeibeamter, der einen zähen Kunden hinter Schloß und Riegel
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