061 - Der Zinker
Der Sergeant schaute ihn tiefsinnig an.
»Sie kamen Viertel vor zwölf hierher?« Er sah sich im Zimmer um. »Wer hat den Schlüssel zum Geldschrank?«
»Ich habe ihn.«
»Hat sonst noch jemand einen Schlüssel?«
»Niemand«, sagte Millie Trent prompt.
»Nicht so hitzig!« warf Sutton ein. »Ich habe auch irgendwo einen Schlüssel dazu, benütze ihn zwar nie, aber ... Haben Sie den Schlüssel bei sich, Mr. Leslie?«
»Captain Leslie, bitte - ja, hier ist er.«
Er holte seinen Schlüsselbund aus der Tasche und löste einen langen Schlüssel vom Ring. Der Detektiv nahm ihn, steckte ihn ins Schloß, öffnete beide Türen des Geldschranks. Die drei unteren Stahlregale waren leer. Darüber - einige Geschäftsbücher und ein in Seidenpapier eingewickelter Gegenstand.
Frank Sutton stieß einen verwirrten Ruf aus, als das Papier entfaltet wurde - in der Hand des Polizeibeamten lag das Diamanthalsband der Lady Creethorne.
Frank sprang zur Tür und riß sie auf.
»Lew!« rief er in den Gang hinaus, worauf Lew Friedman und Beryl das Zimmer betraten. »Lew, hier liegt ein schrecklicher Irrtum vor - Leslie wird beschuldigt, der Zinker zu sein! Weil er das Ding bei sich hatte ...« Er zeigte auf den Schmuck in der Hand des Sergeanten.
»Sind Sie von Scotland Yard?« fragte Leslie mit fester Stimme.
Er allein wirkte gelassen.
»Das tut nichts, woher ich komme. Ich muß Sie bitten, mich zum Marlborough-Posten zu begleiten.«
»Wie wäre es mit einem Wagen?« fragte Leslie.
Totenblaß sah Beryl Stedman auf John, der steif am Tisch stand. Er wandte sich zu ihr um und schüttelte den Kopf.
»Ich bin der Zinker«, sagte er leichthin. »Ist das nicht eine erstaunliche Neuigkeit?«
Sie antwortete nicht, begriff kaum den Sinn seiner Worte. Plötzlich gaben ihre Knie nach. Lew konnte gerade noch seinen Arm um sie legen, bevor sie ohnmächtig wurde.
16
Beryl konnte sich nur ungenau an die Heimfahrt erinnern. Lew erzählte ihr, daß sie sich auf dem Weg im Wagen bald wieder erholt habe. Jetzt saß sie in einem tiefen Armsessel in der Bibliothek von ›Hillford‹. Ein kühler Luftzug, der durch das offene Fenster kam, streifte ihr Gesicht.
»Nicht heute, nicht heute -!« sagte sie einige Male außerordentlich heftig.
»Mein Liebling ...«
Sie hörte Onkel Lews Stimme wie aus weiter Ferne. Aber so viel wußte sie, daß er sehr aufgeregt und sie die Ursache davon war.
»Frank glaubte, es wäre das beste - so wie die Dinge nun einmal liegen. Ich möchte, daß du aus diesen ganzen Unannehmlichkeiten herauskommst. Frank hat alles arrangiert - Standesamt zwei Uhr ...« Er machte eine Pause. »Mein Liebling, hör doch einmal vernünftig zu!«
Er schüttelte sie sanft an der Schulter. Als sie auf ihren Schoß blickte, sah sie, daß sie einen langen Kasten in ihren zitternden Händen hielt, der mit prachtvollem, violettem Sämischleder überzogen war. Sie hob den Deckel, ohne an etwas Bestimmtes zu denken, und starrte auf eine Perlenkette. Onkel Lew erklärte ihr, daß es ihr Hochzeitsgeschenk sei, ohne daß sie den Sinn begriff.
»Ich habe heute morgen die Trauung festgesetzt.«
Nun verstand sie allmählich, worum es ging.
»Heute morgen - bevor John verhaftet wurde?«
»Ja, ich bin froh, daß ich es tat.«
»Aber doch nicht heute!« fuhr sie wild auf. »Du meinst doch nicht, daß heute die Trauung sein soll, Onkel Lew? Zuletzt sagtest du mir, daß sie am Samstag wäre.«
»Heute - es ist besser so.«
Er blieb hartnäckig, fest entschlossen, diese unangenehme Sache hinter sich zu bringen. Sie widersprach noch eine Weile, aber dann trat sie den Tatsachen nüchtern entgegen. John Leslie saß im Gefängnis ... Er war der Zinker - ein Hehler, ein schlechter Charakter, der die Leute, die ihr Vertrauen in ihn setzten, schmählich betrog. Sie wurde ganz krank bei diesem Gedanken.
»Nun gut -.« Sie stand auf, Lew streckte ihr seine Hand hin; sie fühlte sich noch recht schwach. »Ich will ihn heiraten - wann du willst, auch heute ... Es ist ganz gleichgültig, an welchem Tag.«
Man brachte das Essen. Sie rührte keinen Bissen an. Lew ließ eine Flasche Champagner öffnen, aber sie nahm nur einen ganz kleinen Schluck. Doch als Frank kam, der betroffen und ängstlich aussah, war sie beinah wieder sie selbst.
»Wo soll es sein?« fragte sie.
Er sagte ihr, daß er alle Vorbereitungen getroffen habe, und daß die Trauung im Standesamt von Wimbledon stattfinden werde. Sie glaubte, alles im Traum zu hören. Und nachdem Mr.
Weitere Kostenlose Bücher