061 - Der Zinker
sprach er weiter. »Ich möchte nicht zuviel vor dem Jungen sagen. Sie haben doch nichts dagegen, wenn ich noch eine Frage an Sie richte? Oder wenn ich vielleicht etwas Unangenehmes fragte -? Entschuldigen Sie, daß ich ...«
»Schießen Sie los!«
»Jemand hat heute abend hier von Ihnen gesprochen.«
»Sutton?«
Es war also kein Irrtum, keine Verwechslung. Bill, sonst ein recht harter, rauher Mann, spürte einen Stich im Herzen. Das war Leslie - er, ein alter Verbrecher! Leslie - der Mann, den er all die Jahre verehrt und vergöttert hatte!
»Er hat vermutlich erzählt, ich hätte früher gesessen?«
»Nun ja, so etwas Ähnliches. Es tut mir leid, Sir. Sie hatten sicher ein trauriges Erlebnis - aber wir alle haben ...
Es tut mir furchtbar leid für Sie.«
»Verschwenden Sie Ihr Mitleid nicht!« wehrte John vergnügt ab. »Es geht mir ganz gut.«
Das war eine beruhigende Nachricht, und Bill wurde auch wieder fröhlicher.
»Ja, so ist es richtig - man soll sich nicht unterkriegen lassen. Darf ich Ihnen einmal den Club zeigen, Sir? Er ist nicht gerade vornehm, aber unser Kellner ist ebenso gut wie in manchem Club in New York.« Er lachte zufrieden.
»Ist Sutton hier?«
Harras gegenüber hätte Anerley unter gar keinen Umständen das Gebot der Diskretion verletzt, aber diesem Mann hier die Wahrheit einzugestehen, war etwas ganz anderes.
»Er ist im Sitzungssaal.«
»Das ist der Raum hier an der Ecke - ich habe den Plan des Clubs gesehen. Ist er allein?«
»Er hat eine Flasche Champagner vor sich stehen und erwartet eine Dame.« Leise ergänzte Bill: »Vorhin eröffnete er mir, daß er Ihr Feind sei - aber wenn er Ihr Feind ist, dann ist er auch mein Feind!«
Er knöpfte seinen Uniformrock auf, zog ein kurzes Eisen aus der Innentasche und wollte Leslie den Totschläger in die Hand drücken.
»Gehen Sie hin und hauen Sie ihm eine 'runter!«
»Nein, nein, ich will ihn ja gar nicht um die Ecke bringen!«
»Tun Sie es ruhig - sagen Sie ihm einen schönen Gruß von mir, Sie hätten die Erlaubnis vom Komitee!«
»In welchem Zimmer sitzt Harras?«
»In Nummer neun - er amüsiert sich damit, Fliegen zu fangen.«
»Ich will mal zu ihm hineingehen.« Als Bill ihn hinführen wollte, lehnte John ab: »Nicht nötig, ich kenne mich schon aus.«
»Entschuldigen Sie.« Und flüsternd gab Bill ihm noch einen Rat: »Wenn es Spektakel geben sollte, dann finden Sie gerade gegenüber von Nummer neun eine kleine Feuerleiter. Sie führt hinunter - ins Freie. Das Hoftor wird offen sein. Ich möchte heute abend eine alte Rechnung begleichen!«
»Bei Gott, tun Sie das!«
Mit langen Schritten steuerte Leslie den Korridor entlang. Der ›Schläfer‹ in Nummer vier hörte ihn vorübergehen. Er öffnete die Tür einen Spalt weit und beobachtete, wie Leslie vor Nummer neun anhielt und hineinging, hörte auch den überraschten Ausruf und Gruß von Mr. Harras - dann schloß sich die Tür wieder, und die Stimmen verklangen.
29
Im Sitzungssaal wartete Frank Sutton mit fiebernder Ungeduld auf Millie Trents Ankunft. Jede Minute war kostbar.
Er hatte seine Absicht, nach Wimbledon zurückzukehren, aufgegeben, und nachdem er sich zu dieser Änderung entschlossen hatte, telefonierte er mit ›Hillford‹. Jedes Privatzimmer im Leopard-Club hatte einen Telefonanschluß. Der Diener antwortete.
»Mr. Friedman ist zur Stadt gefahren, ebenso Miss Beryl - Mrs. Sutton wollte ich sagen ... - Nein, Sir, ich weiß nicht, wohin. Die Koffer sind bereits zur Bahn gebracht worden.«
Sutton nahm an, Lew und Beryl wären zusammen zur Station gefahren. Wenn er weniger ungeduldig gewesen wäre, hätte er in Erfahrung gebracht, daß die beiden Wimbledon zu ganz verschiedenen Zeiten verlassen hatten und keiner vom Verbleib des andern etwas wußte.
»Ich hätte ihn darauf aufmerksam machen sollen, daß das Handgepäck von Miss Beryl noch hier ist«, sagte der Diener nach dem Anruf zum Dienstmädchen, das neben ihm stand.
Sutton entkorkte die Champagnerflasche, füllte sein Glas und trank es aus. In das andere Glas hatte er bereits vorher aus einer kleinen Medizinflasche dreißig Tropfen einer wasserklaren Flüssigkeit geträufelt.
Zweimal schon, bei früheren Gelegenheiten, hatte er dieses Mittel erprobt, es aber jeweils bei zwanzig Tropfen bewenden lassen.
In diesem Fall jedoch durfte er nichts riskieren.
Lew Friedman wäre übrigens sehr überrascht gewesen, wenn er gewußt hätte, daß nicht nur ihm allein an der Vorverlegung der Hochzeit
Weitere Kostenlose Bücher