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061 - Im Reich der Tausend

061 - Im Reich der Tausend

Titel: 061 - Im Reich der Tausend Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ronald M. Hahn
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einzudringen.
    Er ließ die Fenster der fünf untersten Etagen zumauern, zehn Kelleretagen ausbauen und ein festes Eisenportal in die Wand setzen, die zum Bahnhof hinaus führte. Sämtliche Demokraten wurden eliminiert, das Stadthaus militärisch umstrukturiert, und jedermann wurde ein Dienstgrad verliehen.
    Viktoor brachte die weltfremden Wissenschaftler im so genannten Elfenbeinturm dazu, sich ihm anzuschließen und für die dringendsten Bedürfnisse des Pöbels tätig zu werden, während seine ausgezeichnet bewaffneten Mannen in nächtlichen Strafexpeditionen die Stadt von allen schurkischen Elementen befreiten. Der Zar bestimmte, dass nur Angehörige der Ursanow-Familie im Stadthaus herrschen durften. Er schaffte die Altsprak ab und ersetzte sie durch seine eigene Sprache, da er keine Lust hatte, sie zu erlernen.
    Schließlich verpflichtete er die Gelehrten, seine Errungenschaften beim Pöbel publik zu machen und als sein Sprachrohr zu fungieren, so dass niemand mehr erfuhr als er wissen musste, damit er im Goldenen Zeitalter Viktoors des Ordentlichen optimal funktionierte und nicht aus der Reihe tanzte.
    »Zwar hatte verboten der Zar, dass der Pöbel die Altsprak spricht«, endete Stepaan seinen Bericht, »doch den verdienten Gelehrten steht es frei, sie zu erlernen - für den Fall, dass Fremdlinge vorstoßen in unser Reich, die wir ansonsten nicht könnten verstehen. Und weil ansonsten ginge das gesamte Wissen der Menschheit verloren, denn sämtliche achtundzwanzig Bücher, die in unserem Archiv stehen, sind geschrieben in Altsprak.«
    »Was, so viele Bücher habt ihr?«, sagte Matt mit einer Ironie, die der Gelehrte nicht verstand.
    »Früher es waren mehr«, erwiderte der Greis mit einem Anflug von Stolz. »Doch in den Jahren nach der Katastrophe die Barbaren haben die meisten benutzt als Brennmaterial.«
    Er runzelte die Stirn. »Dafür muss man haben Verständnis, denn sie waren ja nicht an die Kälte gewöhnt wie wir.«
    »Was weißt du über die Katastrophe?«, fragte Matt neugierig.
    »Sie kam über Nacht«, sagte Stepaan. »Es wurde dunkel. Sehr dunkel. Und kalt. Sehr kalt. Und so es blieb, bis die sechste Generation erwachsen war.« Er zuckte seufzend die Schultern. »Leider ist viel Wissen gegangen verloren in dieser Zeit. Zwar unsere verdienten Ge lehrten wissen, wie man die Maschinen bedient, die halten das Stadthaus in Gang, aber wenn etwas geht kaputt, können sie es nicht mehr reparieren, so dass allmählich alles geht aus dem Leim und zerfällt.«
    »Zum Beispiel die Belüftung«, sagte Matt. Die Luft, die er atmete, stank noch immer entsetzlich nach gekochtem Schellfisch.
    »Die Belüftung?« Der Greis schnupperte verdutzt. »Was soll nicht in Ordnung sein damit?«
    »Ist vielleicht Geschmackssache«, erwiderte Matthew. »Aber mir ist da noch etwas aufgefallen. Der Zar…« Er räusperte sich. Jetzt hieß es vorsichtig zu formulieren. »… nun, er scheint mehr auf die Klugheit seiner Gelehrten zu bauen als auf die eigene.« Unwillkürlich hielt Matt die Luft an; hatte er schon zu viel gesagt und eine Majestätsbeleidigung begangen?
    Doch Stepaan seufzte nur und nickte. »Unser glorreicher Zar ist leider arm im Geiste«, sagte er überraschend offen - vermutlich weil sie in der Altsprak redeten. »So wie alle Angehörigen der Ursanow-Familie. Ich vermute, das kommt daher, weil sie nur Nachkommen zeugen untereinander seit Anbeginn ihrer Herrschaft.«
    Was nach all diesen Generationen dazu geführt hat, schlussfolgerte Matt, dass Fjodoor der Gütige einen gehörigen Dachschaden hat.
    Aber er hatte eh nicht vor, noch einmal unter Fjodoors Augen zu treten. Sobald er Aruula und Aiko gefunden und befreit hatte, würde er mit den beiden schleunigst das Weite suchen. Bevor der Zar ihretwegen ein paar arme Bürger vor die Tür setzte.
    »Machen wir uns auf den Weg«, sagte Matt zu Stepaan und Nikolaai. »Besorgt mir ein Schießeisen und ein paar andere wichtige Dinge, dann gehen wir los und nehmen die Spur dieser…«, er hüstelte, »… faschistischen Okkupanten auf.«
    ***
    Die Tubennahrung, mit der Leutnant Vanessa Feddersen Aruula im Inneren des Fahrzeugs verköstigte, schmeckte zwar nach nichts, aber sie stillte wenigstens den Hunger.
    Der Tee, den sie ihr kredenzte, weckte Aruulas Lebensgeister, so dass sie sich, als die Finsternis zurückkehrte, so wach fühlte wie schon lange nicht mehr.
    Nachdem Aruula gegessen und getrunken hatte, nahm Leutnant Feddersen - sie sprach Matts Sprache mit einem

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