061 - Im Reich der Tausend
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Nikolaai und die Offiziere glotzten ihn an. Die Foltermeisterin kicherte hämisch. Nur der Gelehrte Stepaan senkte leidvoll den Blick.
In Matts Kopf ging alles drunter und drüber, und eine lästige Stimme flüsterte ihm zu, dass die pfefferminzgrüne Flüssigkeit dabei war, sein Hirn in einen Haufen Matsch zu verwandeln. Er hörte nicht auf sie.
»Wie heißt du, faschistischer Okkupant?«, fauchte die Foltermeisterin, deren Worte der Greis übersetzte.
Matt sagte es ihr.
»Welcher Streitmacht gehörst du an?«
»U. S. Air Force, Astronomie Division«, hörte Matt sich nuscheln. »Ich bin Pilot.«
»Was ist ein Pilot?«
»Jemand, der fliegt.«
Die Anwesenden stutzten. »Soll das heißen, dass du fliegen kannst?«
»Genau.«
Brüllendes Gelächter ertönte, diesmal von den beiden Offizieren. »Dann mal los!«, brüllte einer. »Zeig uns, wie du fliegst!«
Ein harscher Wink der Foltermeisterin brachte ihn zum Schweigen. Dann wandte sie sich wieder Matt zu. »Du bist einwandfrei irrsinnig«, stellte sie fest. »Aber das ist jetzt nicht wichtig. Beantworte mir die folgenden Fragen: Bist du mit dem Ziel hierher gekommen, das Reich der Tausend zu überfallen und dich an seinen Errungenschaften zu bereichern?«
Matt verneinte.
»Woher kommst du?«
»Aus den Vereinigten Staaten von Amerika«, sagte Matt wahrheitsgemäß. Die minzgrüne Flüssigkeit ließ ihm keine Wahl.
»Vereinigte Staaten? Wo soll das sein?«
»Im Süden. Wo der Schnee zu Ende ist.«
Seine Worte verblüfften die Anwesenden, und Stepaan rief auf Russisch: »Dann stimmt es also doch! Ich hatte Recht! Es gibt im Süden Land ohne Schnee!«
Die Foltermeisterin schaute ihn missbilligend an. Die Gesichter der Offiziere drückten Unglauben aus. (
Und weiter ging das Verhör. Matt wurde nach seinen Gefährten und seinem Ziel befragt.
Er nannte Aikos und Aruulas Namen und berichtete, dass sie ans andere Ende der Welt wollten, um einen Kratersee zu erforschen. Als er seine Ankunft in Vancouver schilderte und den Überfall im U-Bahn-Schacht, sagte der Gelehrte Stepaan: »Das müssen gewesen sein die faschistischen Okkupanten, denn wir haben deine Freunde nicht festgenommen.«
Die Foltermeisterin setzte eine nachdenkliche Miene auf. Sie schien zu begreifen, dass der Delinquent vor ihr tatsächlich unschuldig war und sie auf den Einsatz weiterer Folterspielzeuge verzichten musste. Ihr wurde klar, dass sie einen Fehler begangen hatte: Sie hätte das Serum ganz zuletzt einsetzen müssen!
Schließlich lösten die Offiziere auf ihre Weisung hin Matts Fesseln und hoben ihn aus dem gynäkologischen Stuhl.
»Die Folter ist beendet«, sagte der verdiente Gelehrte Stepaan. Er wirkte sehr erleichtert.
Das war schon alles?, wollte Matt im ersten Moment fragen, besann sich aber eines Besseren und hielt den Mund. Er rieb seine Handgelenke und schaute sich neugierig um.
»Wie gehts jetzt weiter?«
»Das wird entscheiden Fjodoor der Gütige.«
Der Greis nickte der Foltermeisterin zu und setzte sich an die Spitze der Prozession.
Matt folgte ihm, dann ein ebenfalls recht erleichterter Nikolaai. Die Offiziere bildeten die Nachhut. Diesmal blieb Matt ungefesselt. Die Benommenheit fiel allmählich wieder von ihm ab. Offenbar hielt die Wirkung des grünen Serums nicht allzu lange vor.
Auf dem Rückweg zum Aufzug hatte er neuerlich Gelegenheit, den Verfall des Zarenreiches wahrzunehmen. Als sie in O-10 aus dem mörderisch quietschenden Aufzug traten, eskortierten Stepaan, Nikolaai und die Offiziere Matt in den Thronsaal.
Fjodoör der Gütige war noch nicht zugegen; er musste erst aus seinem Schönheitsschlaf geweckt werden. Matt nutzte die Gelegenheit. Er trat an den Glasrahmen, der neben der Tür an der Wand hing, und warf einen Blick auf den leicht vergilbten Zeitungsausschnitt, eine herausgerissene Seite aus dem Vancouver Herald vom 15. 4. 2011.
Sie beschäftigte sich mit dem aus St. Petersburg emigrierten Kaufmann Viktor Ursinow, der im gleichen Jahr nach Vancouver gekommen war, um in der ultramodernen Wohnmaschine Merril Building eine Etage zu mieten, aus der er sein »internationales Im- und Export-Unternehmen« leiten wollte. Der Berichterstatter wies auf süffisante Weise darauf hin, dass Mr. Ursinow, zwanzig Jahre zuvor noch ein hochrangiger Offizier des sowjetischen Geheimdienstes KGB, sich nach der politischen Karriere vorrangig als »Pate« der Russenmafia betätigt hatte. Ein Foto, das den Artikel zierte, bildete Mr. Viktor Ursinow und
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