061 - Im Reich der Tausend
amüsiertes Lächeln. »Hat's wenigstens Spaß gemacht?«
Vanessa Feddersen rieb sich den schmerzenden Nacken. »Die Kleine war ein bisschen ungestüm.« Sie seufzte. »Schade; ich hätte gern ein bisschen länger mit ihr geschmust. Sie hat so etwas Urwüchsiges, Natürliches.« Sie seufzte verlangend. »Vielleicht kann ich meine Bekanntschaft mit ihr irgendwann vertiefen.«
»Sie wird uns schnurstracks zum Reich der Tausend führen«, sagte Hartwig. »Wenn wir erst wissen, wo der Eingang des Bunkers ist, können wir unsere schweren Geschütze auffahren.« Er schnalzte mit der Zunge. »Dann gehört Aruula ganz alleine dir…«
Die Finsternis war nicht dazu angetan, Aruula den Weg zu erleichtern. Außerdem war sie die längste Zeit auf der Fahrt zum Quartier der Yukonier ohne Bewusstsein gewesen.
Kurzum: Sie wusste nicht im Geringsten, wo sie war. Als sie durch den Schnee stapfte und an den Ruinen vorbei eilte, nutzte sie jede Gelegenheit, um in Seitenstraßen und Ga ssen hineinzuschauen, aber sie konnte das SUBWAY-Schild .nirgendwo finden.
Irgendwann konnte sie nicht länger leugnen, sich hoffnungslos verlaufen zu haben.
Rings um sie her waren nur Schwärze und heulender Wind. Um nachzudenken und sich vor dem Wind zu schützen, trat sie in das offene, finster gähnende Türloch eines Hauses.
Während sie dort verharrte, hörte sie plötzlich das Knirschen von Schritten im Schnee, und als sie den Kopf ins Freie schob, erspähte sie auf der gegenüberliegenden Straßenseite zwei geduckt an der Hauswand entlang schleichende Gestalten. Es waren Yukonier.
Aruula wollte sich gerade in den Hausflur zurückziehen, als unmittelbar vor ihr eine dritter Mann den Eingang querte. Sein Auftauchen kam so unerwartet, dass Aruula ein erschrockenes Stöhnen nicht unterdrücken konnte. Der Laut ließ die Gestalt herumfahren.
Der Mann war ebenso überrascht wie sie. Aruulas Hand mit der erbeuteten Waffe zuckte hoch und schlug quer über die Nase des Verfolgers. Er ächzte, seine Knie knickten ein, sein Zeigefinger krümmte sich und ein Schuss, der hallende Echos warf, brach sich an den Wänden.
Aruula nahm aus den Augenwinkeln wahr, dass sich neben ihr ein Putzbrocken von der Hauswand löste. Der unverhoffte Knall versetzte sie in eine lähmende Starre, die zum Glück nur einen Atemzug währte. Als der Mann dann im Niedersinken seine Waffe auf sie anlegte, konnte die Kriegerin nur noch eines tun, um einem Treffer zu entgehen: Ihr Fuß zuckte vor und trat gegen sein Kinn.
Aruula hörte das abscheuliche Knacken, als der Kopf in den Nacken flog und das Genick des Yukoniers brach. Sie wich zurück. Ihre Instinkte hatten das Kommando übernommen; ihr wurde kaum bewusst, dass sie gerade ein Leben ausgelöscht hatte. Ihr eigenes Leben war immer noch in Gefahr, denn nun blieben die beiden Männer auf der anderen Seite der Straße stehen und nahmen sie ins Visier.
Ich muss hier weg!, durchzuckte es Aruula. Auf die Straße konnte sie nicht - blieb also nur der Fluchtweg in die Ruine hinein. Sie wirbelte herum und stürzte sich in die Dunkelheit eines schimmlig riechenden Hausflurs. Hinter ihr wurden Stimmen laut, und als sie einen kurzen Blick riskierte, sah sie, dass die beiden Verfolger sich nach dem Toten bückten.
Sie stolperte über Steine, Plastiktonnen und Schneewehen, glitt aus und landete am Grund eines Treppenhauses auf der Nase. Nach oben führende Treppen, diese Erfahrung hatte sie schon gemacht, führten fast nie in die Freiheit, es sei denn, man hatte Flügel.
Außerdem waren die untersten Treppenstufen bis auf eine Höhe von drei Metern zusammengestürzt.
Also weiter! Sie rappelte sich auf. Solche größeren Häuser verfügten oft über Hintertüren. Ein kalter Luftzug sagte Aruula, dass sie sich nicht getäuscht hatte, und nur Sekunden später drang der Widerschein des Schnees in den Flur.
Sie fand den Hinterausgang ohne Mühe - und saß erneut in der Falle! Vor ihr ragten die meterhohen Reste einer Begrenzungsmauer auf, die den gesamten Hof umschloss. Zwischen Tür und Mauer lagen Schuttberge und metallene Gestänge. Dort konnte sie sich verstecken - aber was nutzte ihr das auf Dauer?
Aruula umrundete die Stangen und ging hinter einem Steinbrocken in Deckung. Noch einmal besah sie sich die erbeutete Waffe, tastete sie nach versteckten Hebeln ab. Aiko besaß eine ähnliche Waffe, und wenn Aruula auch noch nie damit geschossen hatte, wusste sie doch, dass man sie erst entsichern musste, bevor sie
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