0610 - Totenfee der Templer
ihn zu einer gewaltigen, dunklen Spiegelfläche machte.
Während Suko darüber hinwegschritt, sah er seine Gestalt als Schattenriß, der ihn schmal und lang begleitete. Er hatte den Eindruck, einfach weitergehen zu können, ohne daß er durch irgendwelche Hindernisse aufgehalten wurde.
Nur die geheimnisvolle Stimme wollte ihm nicht aus dem Kopf.
Mehr als einen Willkommensgruß hatte sie bisher nicht von sich gegeben. Suko kannte die Sprecherin als Totenfee, und er hatte ihr bereits einen Namen gegeben.
Totenfee der Templer…
Sie mußte etwas mit dem alten Orden zu tun haben, davon ging er einfach aus – nur wo konnte er sie finden?
Suko sah die zahlreichen Einmündungen der Tunnels und Stollen, schaute hinein, suchte nach einem Ziel, einer Gestalt, die sich möglicherweise in der Finsternis abzeichnete, aber da war nichts.
Nur ein geheimnisvolles Licht schimmerte in den letzten Hälften der Eingänge. Für Suko haftete diesem Schimmer etwas Aibonartiges an. Aibon war das grüne Paradies zwischen den Welten, es war das Land der Druiden, und es gab eine Verbindung zwischen der normalen Welt und Aibon. Schon damals war sie von den Templern gefunden worden.
Suko bewegte sich mit weichen Schritten voran. Er traute sich nicht einmal, hart aufzutreten. In dieser Umgebung kam ihm jedes laute Geräusch fehl vor, die Ruhe besaß etwas Heiliges.
Je tiefer Suko in die andere, fremde Welt hineinschritt, um so besser gewöhnte er sich an sie. Er ging auch schneller, soweit es die Schwimmflossen erlaubten.
Den Druck der Preßluftflaschen spürte er nicht. Suko kam sich schon vor wie ein Teil dieser geheimnisvollen Templer-Welt, die viele Jahrhunderte überlebt hatte.
Plötzlich sah er etwas!
Zuerst hielt er es für einen Reflex, der von der Höhe her nach unten geschwebt war, und in dem sich ein langer Lichtstrahl eingefangen hatte.
Er ging näher, achtete auf den Reflex. Er wiederholte sich einige Male. Da wußte Suko, daß er sich nicht geirrt hatte und etwas in diese Welt hineinhing, was eine bestimmte Bedeutung haben mußte.
Noch konnte er nichts Genaues erkennen, aber er entdeckte, daß dieses Etwas nicht so hoch war, als daß er es nicht hätte mit einer Hand greifen können.
Nur wenige Yards trennten ihn von diesem ungemein wichtigen Gegenstand. Er war für ihn wichtig. Suko wußte, daß sich darin das Geheimnis dieser versteckten Templer-Welt verbarg.
Dicht davor blieb er stehen. Sein Blick glitt schräg in die Höhe.
Zum erstenmal sah er genau, um was es sich bei diesem Gegenstand genau handelte.
Es war ein gläsernes Gefäß, ungefähr so groß wie ein normales Einmachglas. Doch sein Inhalt bestand weder aus Konfitüre, noch aus eingemachtem Obst. In dem Glas hockte eine nackte Frau.
Die Totenfee der Templer!
***
Niemand hatte Suko darüber aufgeklärt, dennoch ging er davon aus, daß es die Person war, die ihn angesprochen hatte. Es gab für ihn keine andere Möglichkeit.
Sie saß da mit angezogenen Beinen und etwas zur Seite gedreht, so daß sie ihre Scham verdeckte. Trotz ihrer geringen Größe besaß sie einen wohlproportionierten Körper.
Beim ersten Hinsehen war Suko nur aufgefallen, daß sie nackt war. Nun erkannte er, daß diese Person auf dem Rücken zwei große Flügel besaß, vergleichbar mit denen eines Schmetterlings. Sie zeigten ein helles Braun mit einem schwarzen Muster darin. Die Haarfarbe der Person glich der der Flügel, und auch die nackte Haut zeigte einen ähnlichen, sonnenbraunen Schimmer.
Suko holte tief Luft. Bevor er etwas unternahm, mußte er nachdenken. Er war einen langen, stufigen und steilen Weg geschritten, nun an dessen Ende angelangt und wollte am Ziel nichts überstürzen.
Alles sollte der Reihe nach gehen. Vor einer Handlung das Gehirn einschalten und nur keine Fehler begehen.
So wartete er ab, konzentrierte sich auf das Glas und dessen Inhalt.
Suchte jedes Stück Haut mit seinen Blicken ab und entdeckte auch die Kette um ihren Hals.
»Darf ich dich Totenfee nennen?« fragte er nach einer Weile. Er schaute genau auf das Gesicht der Person im Glas. Die Lippen verzogen sich zu einem dünnen Lächeln, bevor sie sich bewegten und der Mund die entsprechende Antwort gab.
»Ja, du darfst mich Totenfee nennen!«
Suko war durcheinander. Eigentlich hätte die Stimme aus dem Glas klingen müssen, das wiederum war nicht geschehen. Sie hatte ihn abermals aus allen Richtungen erreicht, als würde sie irgendwo in der Weite dieser Welt verteilt sein.
»Wer bist
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