0616 - Der König des Schreckens
etwas sah er, das ihn fast an seinem Verstand zweifeln ließ. Aus dem Maul des Schädels strömte zischend ein feiner Rauchstreifen, der genau gegen ihn geweht wurde.
Einige Male atmete er den Rauch tief durch die Nase ein. Wenn ihn nicht alles täuschte, besaß er einen schwefelartigen Geruch, der zudem im Hals kratzte.
Schwefeldämpfe hatte man immer mit dem Teufel in Verbindung gebracht. Dies schon seit altersher.
Sollte etwa hinter dem Gesicht doch der Teufel lauern? Die Mulattin hatte von einem König des Schreckens gesprochen. War damit etwa der Teufel gemeint?
Man hatte ihm viele Namen gegeben, warum nicht auch ihn. Er spürte die Schmerzen in der Brust und wunderte sich über sich selbst, daß er noch so klar denken konnte. In seinem Gehirn funktionierte noch alles, worüber er nicht länger nachdachte, denn das Bild veränderte sich abermals.
Bisher hatte er es nur als ein Clownsgesicht gekannt. Nun verschwand plötzlich die Haut des Gesichts, als wäre sie von kleinen Zangen abgezupft worden.
Es war für Moore unfaßbar, dies mit ansehen zu müssen, doch es passierte real und war keine Halluzination.
Der Schädel veränderte sich. Die Haut verschwand immer mehr, so daß ein Gerüst aus blanken Knochen zum Vorschein kam. Es war auch nicht blaß oder bleich, sondern von einer türkisen Farbe übergossen, als hätten dünne Pinsel ihre Spuren auf dem bleichen Gebein hinterlassen. In den Augenhöhlen vibrierte ein rötliches Licht, und das Maul war weiterhin verzogen, als würde der Schädel grinsen.
Das war nicht mehr der Clown, das war eine irre Symphonie des Schreckens, die über den Betrachter hineinströmte. Er hatte hier in eine Welt schauen können, die mit der normalen nichts gemeinsam hatte und…
Seine Gedanken stockten. Sein Gehör hatte etwas wahrgenommen, das Geräusch von Schritten.
War Ellen vielleicht erwacht und kam nun, ihn zu suchen? Nein, sie ging anders, und Larry war es auch nicht, dessen Schritte kannte er ebenfalls.
Von außen her stieß jemand die Tür des Arbeitszimmers nach innen. Sehr langsam schwang sie auf, als wollte die Person den Wissenschaftler noch länger im unklaren lassen.
Dann betrat sie das Zimmer.
Moore fuhr der Schreck bis unter die Haarwurzeln, als er die Person anstierte.
Im Zimmer stand die Mulattin!
***
Wieder lächelte sie breit und widerlich. In ihren dunklen Augen lag ein ungewöhnlicher Glanz, als sie den Kopf senkte und den knienden Moore anschaute.
»Ich habe es Ihnen doch gesagt, daß dieses Bild etwas Besonderes ist. Sie haben es nicht glauben wollen. Sie hätten es mir geben müssen, Mr. Moore.«
Er holte so tief Luft, daß seine Lungenflügel schmerzten. Dennoch quälte er sich die Antwort ab. »Nehmen Sie das verdammte Bild. Nehmen Sie es und hauen Sie damit ab…«
»Jetzt ist es zu spät.«
»Wieso…?« Schweiß strömte immer dichter aus den Poren. Er hatte Mühe, die Umgebung noch klar erkennen zu können. »Wieso ist es für mich zu spät?«
Capri kam auf ihn zu. Er sah nur ihre Beine und den Mantel, der wie ein Vorhang zur Seite schwang. »Weil Sie nicht gehorcht haben, Moore. Sie wollten Ihren eigenen Weg gehen, trotz meiner intensiven Warnungen.«
»Ich… ich konnte nicht wissen …«
»Doch, Sie mußten es wissen, Moore. Ich hatte es Ihnen überdeutlich gesagt.« Sie bückte sich, und Moore bekam Furcht davor, daß sie ihm jetzt den Rest geben würde, denn er traute dieser Person alles zu, auch einen Mord.
Mit zwei Fingern faßte sie die Nadel an ihrem Ende an und zog sie mit einem Ruck aus seinem Körper.
Blut floß hinterher, benetzte die beige Schlafanzugjacke. Es floß auch an der Nadel entlang, tropfte ab und sammelte sich auf dem Boden zu einer kleinen Lache.
Sie war zufrieden. Ohne sich noch einmal um den Mann zu kümmern, drehte sich Capri um und schritt auf das Bild zu. Davor blieb sie stehen und breitete die Arme aus und umfaßte den Rahmen. Mit einer routiniert wirkenden Bewegung hob sie es von der Wand ab, drehte sich und zeigte Moore noch einmal den Schädel.
»Er lebt«, flüsterte sie dabei. »Ich hoffe, du kannst spüren, daß er lebt. Habe ich dir nicht vom König des Schreckens berichtet? Er ist hier, er ist gegenwärtig. Auf der Fahrt nach Littleport erschien er mir zum erstenmal. Da allerdings war er nur mehr eine Projektion, jetzt ist er echt.«
»Ja, stimmt…«
Sie nickte ihm zu. »Ich werde jetzt gehen, und ich möchte dir doch sagen, daß du von mir hören wirst. Lorenzo ist tot, doch er
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