0616 - Der König des Schreckens
hin, weil ich wieder an den Schädel dachte, aber Capris Aktion hatte nur zur Ablenkung gedient.
Plötzlich riß sie sich los.
»Bleib hier!« brüllte ich, wollte nachfassen, da hatte es sie bereits erwischt.
Die Kraft war zu vergleichen mit der ungezähmten Macht eines wilden Orkanstoßes.
Es gelang der Frau nicht, sich auf den Beinen zu halten. Die Füße wurden ihr unter dem Boden weggerissen, plötzlich schwebte sie wie ein leichter Gegenstand durch die Luft, schon zu vergleichen mit einem Engel, der nicht Flügel, dafür aber seine Arme weit ausgebreitet hatte.
Halt bekam sie nicht mehr.
Ich hörte sie schreien.
Ihre grellen Rufe zerpeitschten die Stille. Sie hallten als Echos von den Hauswänden wider, und ich sah, daß sie tatsächlich ein Ziel hatte – ihr Bild!
Bevor ich etwas tun konnte, raste sie hinein. Auf dem Rücken liegend und mit dem Kopf zuerst zertrümmerte sie die Leinwand, bevor der Sog sich noch einmal verstärkte, den Körper in spiralförmige Drehungen hineinbrachte und ihn in eine Tiefe hineindrückte, in die ich nicht mehr schauen konnte.
Das Bild hatte Capri verschluckt. Ihr eigenes Unterbewußtsein, die real gezeichneten Alpträume, hatten der Frau letztendlich den Tod gebracht. Für mich, den Zeugen, war es einfach fürchterlich, so etwas mit ansehen zu müssen, aber ich war zu spät gekommen.
Das Bild sah aus, als wäre es von mir zerstört worden. Kein Motiv mehr, keine Leinwand, nur der leere Raum.
Der König des Schreckens war zurückgekehrt, mit all seiner Macht. Nur hatte ich durch das Zerstören der Bilder ihm die Hälfte der Macht genommen.
Wenn er weiterhin seinen Zehn-Jahres-Plan verfolgen wollte, durfte er sich Feinde nicht leisten.
Das heißt, er mußte versuchen, mich aus dem Weg zu räumen, koste es, was es wolle.
Darauf wartete ich.
Mutterseelenallein stand ich auf der Straße. Ich hätte Lorenzo rufen können, doch darauf verzichtete ich. Es war einfach zu blöd, mich in dieser Lage so zu verhalten.
Er würde kommen, er mußte einfach kommen, sonst konnte er seinen großen Plan vergessen.
Aber wie würde er angreifen?
Ich rechnete mit seiner Heimtücke, denn er würde es verstehen, alles für sich auszunutzen, und bei ihm zählen keine Menschenleben, davon ging ich aus.
Ich nahm das Kreuz aus der Tasche, faltete die Kette auf und streifte sie über den Kopf. Das Kreuz selbst ließ ich offen vor meiner Brust hängen.
Dann bewegte ich mich mit langsamen Schritten dorthin, wo ich mit der Bildervernichtung begonnen hatte. Für mich war es so etwas wie ein Startplatz.
Nur meine Schritte waren zu hören. Sie hinterließen, obwohl ich vorsichtig auftrat, leise Echos, die mich begleiteten.
Dann blickte ich zur Seite, denn dort war mir eine Bewegung aufgefallen.
Nicht jedes Lebewesen stand unter dem Bann des Königs. Eine gefleckte Katze schlich über das Pflaster. Ich wollte meinen Blick schon abwenden, als mir der Gang des Tieres auffiel. Die Katze bewegte sich sehr schwerfällig, als hätte sie eine starke Last zu tragen. Nicht weit von mir entfernt blieb sie stehen und drehte sich so, daß sie mich anschauen konnte.
Ich blickte ihr ebenfalls entgegen.
Sie besaß ein schillerndes Augenpaar, es funkelte grün und violett.
Aber ich sah noch mehr.
Sehr langsam öffnete sich ihr Maul. Und dann stürzte mit einemmal eine dunkle Flüssigkeit hervor, die sich auf dem Boden zu einer großen Lache verteilte.
Blut, Adern und Gedärme würgte sie nach draußen, bevor sie inmitten der Lache tot zusammenbrach.
Eiskalt rann es über meinen Rücken. Der König des Schreckens hatte mir mit dieser Aktion bewiesen, daß er seinen verdammten Namen zu recht trug. Und er hatte mir gleichzeitig gezeigt, daß ich noch mit ihm rechnen mußte.
Nur hielt sich dieser Feigling versteckt. Aus dem Hintergrund wollte er angreifen und unschuldige Lebewesen vorschicken.
»Sinclair heißt du, nicht wahr?«
Wieder wurde ich überrascht. Diesmal von seiner Stimme, die durch die Stille hallte.
Ich konnte nicht sagen, woher sie kam. Sie war einfach da und hüllte mich ein.
»Ja, so ist mein Name!«
Als nächste Antwort dröhnte sein mörderisches Lachen in meinen Ohren wider. »Eigentlich müßte ich mich freuen, daß du gekommen bist und dich zum Kampf gestellt hast. Ich mag sogar Menschen, bei denen ich meine Stärke beweisen kann. Aber eines mag ich nicht, das solltest du dir merken: Ich hasse es, wenn jemand versucht, meine Werke zu zerstören. Hast du verstanden,
Weitere Kostenlose Bücher