0616 - Der König des Schreckens
den flachen Händen gegen ihre Wangen, so daß sich das Blut verteilte.
Dann rannte sie weg.
Ich hielt sie nicht auf, schaute ihr nur kurz nach und sah sie in einer schmalen Seitenstraße verschwinden.
Dann schaute ich hoch zum Himmel.
Der König des Schreckens war verschwunden, kein Schädel schwebte mehr unter den Wolken.
Für mich war es ein Zeichen, daß Lorenzo jetzt persönlich in den Kampf eingreifen würde.
Es gab nur zwei Alternativen.
Er oder ich.
Ich aber war bereit, den Kampf gegen den König des Schreckens aufzunehmen…
***
Den Entschluß konnte ich nicht sofort in die Tat umsetzen, da ich nicht wußte, wo er sich befand.
Er hatte seinen großen Plan durchführen können, die Menschen standen unter seinem Bann, selbst Suko hatte sich nicht dagegen wehren können. Dies zeigte mir, wie mächtig der König des Schreckens war. Schon zehn Jahre vor der eigentlichen Rückkehr des Königs des Schreckens wollte er sein Netz spinnen.
Ich mußte die Fäden zerreißen und hatte es bei einem bereits geschafft, dem Bild.
Bisher hatte ich mich nur auf dieses Gemälde konzentriert gehabt und mir die anderen nicht genau angeschaut. Es war leider zu dunkel, um sie zählen zu können, so blieb mir nichts anderes übrig, als sie der Reihe nach abzuschreiten.
Sie standen nebeneinander und bildeten einen Halbkreis.
Meine Schritte dämpfte ich so stark wie möglich. Keiner sollte mich hören. Ich schlich über das Pflaster und blieb neben dem zweiten Bild stehen.
Über den ungewöhnlichen Selbstmord hatte ich genug erfahren, deshalb konnte ich mir auch vorstellen, daß es die Bilder waren, die bei Lorenzos Selbstmord von der Bühne verschwunden waren.
Das zweite Bild zeigte eine blauschwarze Kralle, die aus dem Hintergrund hervorschoß und deren spitze Fingernägel in einer tintigen Wolke verschwanden.
Ich nahm wieder den Dolch, stach ihn schräg in die Leinwand und zog ihn von unten nach oben.
Das gleiche Zischen, der gleiche Qualm, dann zerfetzte das Bild in einer puffenden Explosion.
Ich ging sofort weiter bis zum dritten. Ein kurzer Blick auf das Motiv. Violette Totenschädel bildeten einen Reigen und waren dabei, sich schnell zu drehen.
Ich stach diesmal in die Mitte.
Auch hier zerplatzten die Schädel.
Dann nahm ich mir das vierte Bild vor. Ich fand es unter einer Laterne. Hob meinen rechten Arm und wollte die Klinge in die Monsterfratze stoßen, als ich hinter mir die Stimme der Mulattin hörte.
»Nein, tu es nicht!«
Ich zögerte tatsächlich und drehte mich um.
Sie stand im Restlicht der Laterne, das ausreichte, um auch ihr Gesicht zu treffen.
Ein normales Gesicht, keines mehr, in dem das Blut aus zahlreichen Wunden gequollen war.
Wir schauten uns an, und Capri schüttelte leicht den Kopf.
»Weshalb soll ich es nicht tun?«
»Willst du mich töten?«
»Bist du das?«
»Ja.«
Die Situation war zu ernst, um darüber lachen zu können. Das Motiv dieses Gemäldes besaß überhaupt keine Ähnlichkeit mit der vor mir stehenden Mulattin.
Sie war eine hübsche Frau, aber hinter mir auf der Leinwand zeichnete sich ein düsteres Monstrum ab. Ein quallenähnliches Gebilde mit zahlreichen Armen, aus denen kleine Knoten hervorwuchsen.
Die Spitze meines Silberdolchs zeigte auf Capri, als ich sie fragte:
»Du willst das sein?«
»Ja.«
»Das kann ich nicht glauben.«
»Er hat nicht mich gemalt, sondern das Abbild meiner Seele. Schau dir das Bild genau an.«
Ich grinste schief. »Wenn das deine Seele ist oder dein Unterbewußtsein, dann wäre ich an deiner Stelle mehr als traurig.«
Sie hob nur die Schultern.
Ob sie gelogen hatte oder nicht, würde ich sehr schnell feststellen.
Um besser sehen zu können, leuchtete ich das »Werk« mit der Bleistiftlampe an.
Nicht die Masse interessierte mich: der Kegel fiel auf einen der aus ihr wachsenden Arme und dort genau auf das Ende, das einen runden Kopf zeigte.
Es war ein Gesicht – ihr Gesicht!
Ich betrachtete mir auch die anderen Köpfe. Überall sah ich das Gesicht der Mulattin.
»Habe ich recht gehabt?«
»Ja, das scheinst du wirklich zu sein. Jedenfalls was die Köpfe angeht. Sie haben dein Gesicht.«
»Er hatte mich malen wollen.«
Ich lächelte verständnislos. »Wie kam er denn auf dieses Motiv? Ein Quallenmonster mit…«
»Das Spiegelbild meines Unterbewußtseins. Er hat es so gesehen, ich glaube ihm.«
»Gut«, sagte ich und schaute sie an. »Ich habe dir den Gefallen getan und dein Gemälde nicht zerstört. Aber bei mir gibt
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