0619 - Killer-Blasen
Kaiinka entgegen. »Ja, John, meine Mutter ist etwas Besonderes. Ich will dir sagen, daß jeder von uns etwas Besonderes ist. Glaubst du es?«
»Wenn du das sagst.«
»Natürlich.« Sie drehte sich noch auf ihrem Sitzkissen und schnellte mit einem Ruck in die Höhe. Dann ging sie durch den Wagen, denn ihr Ziel war der Vorhang.
Auch ich schlängelte mich durch die Mitte und hatte Mühe, das Gleichgewicht zu halten, da unser Fahrzeug doch sehr schlingerte.
Vor dem Vorhang war sie stehengeblieben, eine Hand umklammerte die Falte. So wartete sie, bis ich dicht neben ihr stand.
»Ist deine Mutter schon älter?«
»Nein, um die Fünfzig. Aber sie hat immer hart gearbeitet. Ich zeige sie dir jetzt!« flüsterte das Mädchen. Mit einem Ruck zog sie den Vorhang auf, der an Ösen über eine Schiene dicht unter der Wagendecke entlanglief.
Dahinter lag eine dunkle Kammer. So kam sie mir wenigstens vor.
Ich schaute auf ein Bett mit dunkelroter Decke, die gestickte Motive zeigte.
Zum Kopfende hin waren Kissen gestapelt worden. Sehr große Paradekissen. Genau in der Mitte des Bettes schaute aus der Decke der Kopf und ein Teil des Oberkörpers hervor.
»Meine Mutter«, sagte Kaiinka hinter mir.
Ich bekam eine dicke Gänsehaut, denn was im Bett lag, war kein Mensch, sondern ein Skelett…
***
Sekundenlang sprach ich kein Wort. Auch Kalinka sagte nichts. Sie stand dicht hinter mir, ich hörte sie schnaufend atmen, und erst als ich mich umdrehte, sprach sie mich an.
»Überrascht, John?«
»Ha…« Ich schüttelte den Kopf. »Mehr als das, meine Liebe. Verdammt noch mal, das ist ein Schock. Oder willst du mich reinlegen? Hast du das Skelett bei einem Trödler erworben, um deine Besucher damit zu schocken? Wäre ja auch möglich.«
Kalinkas Augen hatten an Größe gewonnen. »Nein, das Skelett ist echt. Das ist wirklich meine Mutter, ich schwöre es.«
»Wieso?«
»Vielleicht weißt du es selbst.«
Ich achtete nicht mehr auf sie, sondern schob mich an der rechten Seite der Liegestatt vorbei.
Mit Skeletten hatte ich meine Erfahrungen gesammelt. Am vergangenen Tag noch waren wir in dem Dorf gewesen, das von diesem Grauen überfallen worden war. Und jetzt lag ein Skelett vor mir, dessen Knochen ebenso blank waren wie die der Toten, die ich zwischen und in den Häusern der Ortschaft gesehen hatte.
Der Schleim… die Blasen … die tötenden Ovale … möglicherweise auch der Todesnebel. Ich konnte mir plötzlich vorstellen, daß diese nach außen hin harmlos erscheinenden Zirkusleute es faustdick hinter den Ohren hatten.
Als ich über das Bett hinwegblickte, sah ich den Blick des Mädchens auf mich gerichtet.
»Du hast keine Furcht?« fragte ich leise. Ich war gespannt, ob sie mir darauf eine Antwort geben wollte oder konnte. Noch lag der Schauer auf meinem Rücken. Ich besaß ein Gespür für Fallen, dies hier war eine.
Dabei tat Kalinka, als wäre es das normalste der Welt, ein Skelett im Bett liegen zu haben, dazu noch die eigene Mutter.
»Du hast meine Frage noch nicht beantwortet«, sagte ich.
»Das weiß ich.«
»Dann bitte.«
»Nein.« Sie schüttelte den Kopf und lächelte hintergründig. »Ich glaube nämlich, daß deine Freunde und du viel besser Bescheid wissen. Man hat einen Blick für KGB-Männer. Einer davon ist einer aus der Gruppe. Der andere ist Mongole oder Chinese, ich weiß nicht, ob er für den KGB arbeitet.«
»Er ist Chinese und Engländer. Ebenso wie ich«, erwiderte ich.
»Damit steht die Frage noch immer offen.«
»Manchmal ist das Schicksal gerecht, John. Dann gibt es auch den Schwachen eine Waffe in die Hände.«
»Welche Waffe denn?«
»Der Tod. Es ist der Tod, den wir verbreiten. Oder bist du etwa anderer Meinung?«
»Dann kennt ihr auch den kleinen Ort ungefähr zwanzig Kilometer von hier entfernt?«
»Ich weiß nicht, was du meinst.«
»Das Dorf der Gebeine, der Gerippe, der Toten, der Fleischlosen. Ein Ort des Grauens, den wir entdeckt haben. Habt ihr ihm einen Besuch abgestattet und all die Frauen, Männer und Kinder ermordet. Seid ihr diese verfluchten…«
»Ich weiß nicht, wovon du redest. Sei doch froh, daß wir euch mitgenommen haben.«
»Ich glaube kaum, daß die Fahrt euch noch bis nach Finnland bringen wird. Ihr werdet euch einige Fragen gefallen lassen müssen. Auch vom KGB, Kaiinka.«
»Bestimmt nicht.«
Die Sicherheit, mit der die junge Russin die Antwort gegeben hatte, irritierte mich.
»Was meinst du damit?«
»Es ist bereits alles gerichtet,
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