062 - John Flack
Gabel fallen.
»Ringe?«
»Riesenhafte Diamanten und Smaragde. Mir verging fast der Atem. Im gleichen Augenblick, als sie das bemerkte, hielt sie die Hände hinter den Rücken und erzählte mir am nächsten Morgen, daß diese Schmucksachen Geschenke einer Dame vom Theater wären, die hier gewohnt hatte, und daß die Ringe ganz wertlos seien.«
»Also Tinneff«, sagte Mr. Reeder.
»Was ist ›Tinneff‹?« fragte sie neugierig, und Mr. Reeder wackelte mit dem Kopf. Margaret hatte schon herausgefunden, daß diese besondere Art von Kopfwackeln bei Mr. Reeder gute Laune und Heiterkeit verriet.
Nach dem Essen schickte er eines der bedienenden Mädchen zu Mr. Daver, und als dieser kam, teilte ihm Mr. Reeder mit, daß er eine Menge Arbeit zu erledigen habe, und bat um eine Schreibunterlage und einen Schreibtisch für sein Zimmer. Margaret wunderte sich, warum er sie nicht darum gebeten hatte, nahm aber an, daß er nicht wußte, daß diese Dinge zu ihrem Wirkungskreis gehörten.
»Sie sind ein großer Schriftsteller, Mr. Reeder!« Daver wand sich vor Lachen über seinen eigenen kleinen Witz. »Ich auch! Ich bin nur vollkommen glücklich, wenn ich einen Federhalter in der Hand habe. Erzählen Sie mir mal - das interessiert mich ganz besonders -, wann können Sie am besten arbeiten: Morgens oder abends? Ich persönlich habe diese Frage noch nicht zu meiner völligen Zufriedenheit beantworten können.«
»Ich schreibe von jetzt ab ohne Unterbrechung bis zwei Uhr«, sagte Mr. Reeder und sah auf seine Uhr. »Das ist eine jahrelange Gewohnheit. Von neun bis zwei sind meine Arbeitsstunden, dann rauche ich eine Zigarette, trinke ein Glas Milch - wollen Sie übrigens so freundlich sein, dafür zu sorgen, daß man mir sofort ein Glas Milch auf mein Zimmer bringt -, und von zwei schlafe ich ununterbrochen bis neun Uhr.«
Margaret war eine interessierte und auch überraschte Zuhörerin seiner Äußerungen über seine privaten Angewohnheiten. Es war ganz ungewöhnlich von Mr. Reeder, über sich selbst zu sprechen, noch weniger denkbar, daß er seine Arbeiten erwähnte. In ihrem Leben hatte sie bisher noch keinen Menschen getroffen, der zurückhaltender über sein Privatleben gewesen wäre. Vielleicht war der Feriengeist über ihn gekommen, dachte sie und fand, daß er heute abend auf jeden Fall jünger aussah, als sie ihn jemals gesehen hatte.
Sie ging, um Mrs. Burton die Wünsche des Gastes mitzuteilen. Die Frau nahm den Auftrag naserümpfend an.
»Milch? Der sieht genauso aus, als ob er Milch trinkt. Er braucht keine Angst zu haben!«
»Warum sollte er denn Angst haben?« fragte Margaret scharf, aber ein solcher Ton war Mrs. Burton gegenüber verloren.
»Kein Mensch hat Detektive gern, die durch das ganze Haus schnüffeln - stimmt das nicht, Miss Belman? Und der ist kein Detektiv, wie ich ihn mir vorstelle.«
»Wer hat Ihnen denn erzählt, daß er ein Detektiv ist?«
Mrs. Burton sah sie einen Augenblick unter ihren schweren Augenlidern an und drehte dann den Kopf in der Richtung nach Mr. Davers Büro.
»Er hat's mir erzählt«, sagte sie, »Detektive! Und ich muß hier sitzen und mich von morgens bis abends abarbeiten, wo ich doch in Paris die große Dame spielen könnte, oder sonstwo, wo es fein ist, mit Dienern, die mir aufwarten, anstatt daß ich andere Leute bediene. Es ist zum Verrücktwerden!«
Zweimal, seit sie hier war, war Margaret Zeuge eines solchen Ausbruches von Unzufriedenheit und Ärger gewesen. Sie hatte das Gefühl, als ob diese verblühte Frau nach einer Gelegenheit suchte, sie zu ihrer Vertrauten zu machen. Aber der Vorwand dazu wurde weder gesucht noch gefunden. Margaret hatte nichts gemein mit dieser ziemlich beschränkten und schrecklich gewöhnlichen Frau, und beide konnten kein gemeinsames Interesse finden, das die Schranken zwischen ihnen niedergebrochen hätte.
»Die behandeln mich hier wie Dreck«, fuhr sie fort, und ihre Stimme zitterte vor verhaltener Wut, »und sie behandelt mich schlimmer als alle anderen. Neulich habe ich sie gefragt, ob sie nicht eine Tasse Tee bei mir trinken wollte. Was denken Sie wohl, was sie mir geantwortet hat?«
»Von wem sprechen Sie eigentlich?« fragte Margaret neugierig. Sie kam nicht auf den Gedanken, daß ›sie‹ Olga Crewe sein könnte - eine gewaltige Menge Vorstellungsvermögen war nötig, um sich die kalte und elegante Olga Crewe bei einer behaglichen Tasse Tee mit Mrs. Burton vorzustellen, wie sie mit dieser Gemeinplätze austauschte, und doch war
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