0620 - Die Götzenhöhle
die schwankenden Planken unter meinen Füßen.
Die Hände hatte ich auf die beiden Seile gelegt. Sehr vorsichtig setzte ich meine Füße auf die Holzplanken. Natürlich waren sie naß und dementsprechend glatt.
Ich bewegte mich wie jemand, der gerade laufen lernt. Mit kleinen, zögernden Schritten, den Blick nach unten, aber nicht in die Tiefe gerichtet.
Suko ging ebenso wie ich. Sehr vorsichtig, immer behutsam und dabei versuchend, die Schwankungen der provisorischen Brücke auszugleichen, denn der Wind fuhr oft genug böig dagegen. Von der linken Seite rauschten die Sprühwolken heran. Als glitzernde Fahnen wehten sie auf uns zu und legten einen Film über unsere Kleidung. Ich löste keine Hand vom Seil, um das Wasser aus dem Gesicht zu wischen, ließ es in meine Augen rinnen, pustete die Tropfen einfach weg, ging weiter, konzentriert und merkte auch, wie sich die Brücke senkte, als wollte sie in einer Mulde verschwinden.
Die bildete sie selbst an einer Stelle, wo sie regelrecht durchhing.
Das war schon mehr in der Mitte und wo man aufatmen konnte, weil man die Hälfte geschafft hatte.
Eisern machte ich weiter.
Suko sah ich vor mir, Utak konnte ich nicht sehen. Als Suko stehenblieb, stoppte auch ich meinen Schritt.
Utak kam auf uns zu. Ziemlich locker lief er uns entgegen, sein Gesicht glänzte feucht, die Pupillen schimmerten wie dunkles Metall. »Wir haben die Hälfte fast hinter uns. Wenn ihr nach rechts schaut, habt ihr einen guten Blick in das Tal!«
Den hatten wir in der Tat. Nicht allein die Feuer brannten, wir sahen auch die Menschen, wie sie sich zwischen den Flammen herbewegten und auf mich den Eindruck machten, als würden sie bestimmten Ritualen folgen. Sie trafen sich, aber sie sprachen nicht miteinander, sondern gingen einfach vorbei. Ihre Bewegungen erinnerten mich an die von lebenden Toten, mit ihnen hatten auch wir schon unsere Erfahrungen gesammelt.
»Was bedeutet das?«
Utak nickte. »Sie stehen unter einer Droge, wie ich es sehe. Das Totenritual beginnt.«
»Die Verbrennung?«
»Damit endet es.«
Suko dachte einen Schritt weiter. »Was würde geschehen, wenn wir, die Fremden, sie bei diesem Ritual stören?«
Utak runzelte die Stirn. »Ich glaube kaum, daß es gut wäre. Da reagieren sie sensibel. Diese für die Ashaten heiligen Handlungen dürfen nicht durch Fremde unterbrochen werden. So ist es, und so wird es bleiben, glaube ich.«
»Dann hast du auch noch kein Totenritual miterlebt?«
»So ist es, Suko.«
»Ich kann nur hoffen, daß wir Boris Belzik bei ihnen finden. Sonst ist alles umsonst.«
»Wenn er sich dort unten aufhält, werden wir ihn zu Gesicht bekommen, John, das mußt du mir glauben. Einen wie ihn könnten die Ashaten als Götzen verehren.«
»Das walte Hugo.«
»Wie bitte?«
»Schon gut. Gehen wir weiter.« Ich wollte Utak und Suko wieder einen kleinen Vorsprung lassen, nutzte die Zeitspanne und schaute abermals nach rechts in die Tiefe.
Am Bild hatte sich nichts verändert. Noch immer loderten die Feuer, zerknackten das Holz oder andere brennbare Gegenstände und sorgten hin und wieder für einen aufsprühenden Funkenregen.
Auch die Gischtwolken des Wasserfalls erreichten das Tal nicht, und dennoch zog eine Wolke träge vom Grund her in die Höhe und hatte die Richtung zur Brücke hin eingeschlagen.
Das war seltsam…
Ich wartete, schaute genauer hin und wollte es wissen. Mit einer nicht zu hastigen Bewegung holte ich die Lampe aus der rechten Außentasche und schaltete sie ein.
Den Stahl richtete ich geradewegs gegen die herantreibende Wolke und bekam mit, daß er gebrochen wurde.
Aber nicht von zahlreichen Wassertropfen, dafür von einer sehr dünnen Haut.
Das war auch keine Wolke, nein, Boris Belzik schickte uns das Grauen entgegen.
Seine Killer-Blase!
***
»Suko! Utak!« Die beiden Namen erreichten meine Freunde als Schrei. Ich mußte sie warnen, sie durften keinen Schritt mehr weitergehen, denn die verdammte Blase hatte ihr Tempo erhöht und würde zuerst Utak erwischen, wenn sie so weiterflog.
Der Inspektor blieb stehen, drehte sich vorsichtig um und sah meine ausgestreckte Hand und den Lichtstrahl, der gegen das herantreibende Mordwerkzeug deutete.
»Die Blase!«
»Verdammt!« Sukos Schrei alarmierte auch Utak. Der blieb ebenfalls stehen und drehte sich.
Wir waren zu weit voneinander getrennt. Bevor ich Utak erreicht hatte, war die Blase da. Er konnte sich auf den schwankenden Planken besser bewegen.
Ich schrie ihm zu, den Rückweg
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